Biografie, Karriere: Da kommen selbst Pelé, Beckenbauer und Maradona nicht mit! Johan Cruyff bleibt auch nach seinem Tod als Legende und „Spielentwickler“ sowie Barca-Erfinder lebendiger denn je…

Wer Cruyff sagt, muss auch Barca, Ajax und die WM-Elf 1974 sagen. Wie kein anderer Star zuvor, hat der holländische Inspirator Cruyff den Fußball bis heute geprägt. Cruyff bleibt auch nach seinem Tode (24. März 2016) mit seiner Fußballphilosophie aktuell, und das bestimmt noch sehr lang.

 „Ich kann nur Vereine trainieren, die Fußball spielen wollen.“  (Johan Cruyff)

 Obwohl „König Johan“ Cruyff, der frühere Kettenraucher, immer eine streitbare Persönlichkeit gewesen ist, löste die Nachricht von seinem Tod am 24. März 2016 eine „riesige Welle der Anteilnahme und Trauer aus“ – und das nicht nur in den Niederlanden und in Katalonien, Cruyffs Wahlheimat. Etliche Zeitungen weltweit bringen Sonderbeilagen und lange Artikel zum einstigen Weltstar und Trainer. Aus dem Club Barca heraus, vermeldete das Präsidium: „Es ist unmöglich Barca ohne Cruyff zu verstehen.“ Und selbst der ärgste Konkurrent von Real Madrid gibt mit Präsident Florentino Pérez diese Kondolenz voller aufrichtiger Anteilnahme: „Es ist sehr traurig. Cruyff war einer jener Personen, die uns eigentlich niemals verlassen dürften.“ Schließlich habe Cruyff wie kein anderer die Geschichte Barca und des Fußballs verändert. Die „Königlichen“ trauerten um den Oranje-König. Und Reals ehemaliger Sportdirektor, der argentinische Weltmeister von 1986, Jorge Valdano, ein großer Bewunderer Cruyffs brachte es realistisch wie bildlich auf den Punkt: „Wenn es im Fußball Patentrechte gäbe, wären seine Familienangehörigen Multimillionäre…“   Egal ob Louis van Gaal oder Pep Guardiola, sie wurden alle von der Fußballphilosophie, zumindest aber von Cruyffs Sicht auf dem Fußball infiziert. Nicht wenige meinen, besonders Pep Guardiola, einst Cruyffs Zögling beim FC Barcelona und „verlängerter Arm“ auf dem Platz, habe Cruyffs System „veredelt“, nachdem Johan Cruyff zuvor selbst den Fußball „transformiert“ habe (Günter Netzer, einst Cruyffs Gegenpart bei Real Madrid).

Auf über 320 Seiten ist es dem renommierten Autor und Journalisten Dietrich Schulze-Marmeling hervorragend gelungen, eine tiefgreifende Biografie Cruyffs zu schreiben, aber eigentlich ist es eine chirurgische Präzisionsarbeit, über die Fußballphilosophie von Cruyff selbst sowie des Fußballs im Allgemeinen (Der König und sein Spiel – Johan Cruyff und der Weltfußball; Verlag DIE WERKSTATT).

So baut der Autor Schulze-Marmeling auch im Vorwort ein bisschen vor, es sei keine klassische Biografie, das wäre „anmaßend“. Vielmehr sei das Buch über einen Fußballfanatiker und „eine Idee vom Fußball“, in der sich der Autor wiederfindet. Schulze-Marmeling bittet uns Leser um „Verzeihung“, wenn sich Cruyffs und des Autors Gedanken „zuweilen etwas miteinander vermengen – bis hart an die Grenze des Erlaubten.“ Es sei erwähnt, Dietrich Schulze-Marmeling hat schon etliche Spiele gesehen, zudem wurde Schulze-Marmeling selbst als Jugendlicher zum „Zeugen Cruyffs“ und der Oranje-Elftal auf dem Sportplatz Hiltrup-Ost, da sich die Holländer in Hiltrup während der Weltmeisterschaft in Deutschland aufhielten und drei Spiele in Dortmund sowie auf Schalke austrugen. Dem Autor sei daher vergeben…bei diesem Lesegenuss.

Holland war einfach cool, die Spieler waren es erst recht. Das interessante Buch kommt, auch wegen der Zeit, in der Cruyff quasi aufwuchs, nicht ohne einen soziologischen Seitenaspekt aus. Besonders während der Sechziger-Jahre hatte eine „vielschichtige“ Revolution und Veränderung die provinziellen und rückständigen „Nachkriegs-Niederlande“ (wir sind versucht einzuschieben, nicht nur die Niederlanden) in eines der progressivsten Länder Europas verwandelte. Aber, wie wir wissen, auch in Deutschland begehrte man gegen den „Mief der Vergangenheit“ auf. Alles was quasi neu und auflehnend wirkte, kam europaweit gut an. Die Niederländer versuchten sich ebenso gegen die Wirtschaft und eine Militärmacht aufzulehnen. Johan Cruyff zu dieser anarchistischen Zeit der Jugend, sowie der Fußballer, die sich klar als Teil der Gesellschaft sahen: „Wir Holländer sind eigensinnig. Selbst am anderen Ende der Welt erzählen wir den Leuten immer, wie sie ihren Kram zu machen haben. In diesem Sinne sind wir ein unangenehmes Volk.“ Jedenfalls fanden sich die Holländer im Fußball außerhalb der Niederlande immer gut zurecht.

Die Bürger wollten sich einfach nicht mehr bevormunden lassen. Es wehte ein neuer Geist durch Holland, und auch durch den verstaubten niederländischen Fußballverband, und Cruyff war ohne Frage einer der einflussreichsten Spieler.

Nun können wir nicht auf alle Kapitel dieses Buches ausführlich eingehen, möchten wir auch nicht, liebe Checkfussballberater.de-Leser, legen Sie sich dieses Buch einfach zu – aber, ein paar Details wollen wir doch hervorheben.

So schwärmte die halbe Fußballwelt vom holländischen Fußball, also in den 1970er-Jahren bis hin zur Fußballweltmeisterschaft 1974. Auch Ajax Amsterdam (mit Cruyff, mit der Nummer „14“, die nie wieder vergeben wurde) war eine wahre Macht mit schönem Spiel, dreimal sicherte sich Ajax den Cup der Landesmeister/Champions-League hintereinander. Der holländische Fußball schien, zumindest von seinem Ansatz und seiner Schönheit her, als sehr neuartig, Ästhetik und Aggressivität wechselten sich ab beim „Fußball total“ der Holländer, der von Trainer Rinus Michels (1999 von der Fifa zum „Trainer des Jahrhunderts“ gekürt; weniger wegen der Titel, es waren nicht viele für ihn, als vielmehr wegen der Entwicklung des Fußballs) perfektioniert wurde. Ja, Cruyff wurde auch von Rinus Michels inspiriert.

„Jeder Spieler einen Ball“, so sah schon damals das moderne Training aus. Der Ball stand klar im Mittelpunkt. Das spielerische Element immer im Vordergrund. Und Michels brütete stets über bessere und effektivere Spielsysteme, die auch mit viel Risiko verbunden waren, die aber teils bis heute „System“ haben, oder relevant sind. Vom abenteuerlichen 4-2-4-System rückte Michels irgendwann ab, hinüber zu einem 4-3-3, das auch immer wieder bei Ballbesitz schnell in ein 3-4-3 umgewandelt wurde, wenn sich z. B. der Libero, heute der zentrale Innenverteidiger, nach vorne einschaltete.

Zur Psychologie des schönen Spiels, und was dazwischen kommen kann:

Wie das Finale 1974 letztendlich ausging, weiß jeder, und bis heute ist dieses Finale von München, als Deutschland zum zweiten Mal nach 1954  Weltmeister wurde, ein immer heiß diskutiertes Thema! Holland war der klare Favorit, sie waren durch die WM spielerisch marschiert, und hatten auch Brasilien beherrscht. Die Fußballwelt schwärmte (wie auch Schulze-Marmeling) von diesem modernen Holland-Spiel der Ballzirkulation und sauberen Technik. Aber auch von der Art und Weise, wie die Spieler während der WM leben, im deutschen Hotel und Trainingslager: locker, flockig, von wegen abgeschirmt – Bier und Zigaretten waren erlaubt. Kritischen Reporter-Fragen wurde trocken entgegnet, von Cruyff wie (von) van Hanegem: „Eine Weltmeisterschaft sei dazu da, festzustellen, wer am besten Fußball spielt“, und nicht dafür, wer etwas nicht verträgt, oder, „ja, das Rauchen sei wohl schädlich“, aber vor allem für die Vorhänge.

Jedenfalls nutzten die deutsche Elf die Zeit, um das holländische Spiel zu studieren, und besonders, um Cruyff „auszugucken“, Berti Vogts sollte gegen Cruyff als „Bewacher“, sobald dieser am Ball war, sein bestes Match machen. Netzer musste im Geheimtraining Cruyff imitieren.

Und dann das Finale, Holland führte nach 63 Sekunden durch einen berechtigten Elfmeter, aber sie wollten danach zu viel, und zu cool sein, die Elftal wollte Deutschland vorführen. „Hochmut kommt vor dem Fall“, so heißt es im Buch auf Seite 191.

Die niederländische Arroganz provozierte die DFB-Elf und die Holländer schläferten sich nach der Führung selbst ein. Auch als großer Verlierer wird Cruyff zu „Europas Fußballer des Jahres“ gewählt. Schöner verlor noch kein Team.

Und schon damals, es hagelte viel Kritik, machten sich Rinus Michels und(!) Cruyff um jede Position Gedanken. Auch um die des Tormanns. Denn, es spielte der 37-jährige Jan Jongbloed  im Tor. Viele verstanden das nicht, denn sie sahen in Jongbloed einen Schwachpunkt im gesamten Team. Und in der Tat, vielleicht sah Jongbloed auf der Linie nicht immer sicher und bisschen unkoordiniert aus, aber dafür machte er vieles im System Michels‘ richtig, und der spätere weltbekannte Torwarttrainer Frans Hoek erklärt es: „… am Ende hatte Michels Recht gehabt, weil Jongbloed im gesamten Raum zwischen Tor und Abwehr verteidigt hat.“ Der moderne Torwart war also schon damals geboren! Cruyff hob Jongbloed in diesen Stand.

Es begann die psychologische Ursachenforschung, Reporter Brinkbäumer des SPIEGEL wird so zitiert: „Cruyff, Neeskens, Rep und Rensenbrink waren die Besten der Welt, und leider wussten sie es…“. Bis heute schwärme man in Holland teils mehr von dieser Verlierermannschaft, der Vize-WM also, als vom Europameister 1988 in Deutschland, als Michels den Titel holte mit Rijkaard, Gullit und van Basten. Dieser Fußball sei zwar erfolgreich gewesen, aber nicht so schön. Bitte?

Cruyff war 1978 bei der WM in Argentinien nicht mehr dabei, und dennoch schafften es die Holländer gegen Gastgeber Argentinien ins Finale. Die Art und Weise war wieder famos, Interimstrainer Ernst Happel, auch ein Offensivverfechter, ließ voll auf Angriff spielen. Zum „mit der Zunge schnalzen“. Aber es schien, als müsse nur Argentinien gewinnen. Der Schiedsrichter ließ lange spielen und traf unglückliche Entscheidungen. Politisch war die Lage auch angespannt in Argentinien, und die Holländer blieben der anschließenden Siegerehrung fern.

Fußball total!

Johan Cruyff der Straßenkicker, der einst beinahe für zu leicht befunden wurde, wiederholte immer wieder, „Fußball ist ein Spiel für den Kopf“. Sein  einziges Talent sei, dass er vielleicht ein bisschen mehr Überblick und Weitblick als andere habe. Er sähe einfach einen Bruchteil früher, wo der Ball hinkommen muss. Naja, wenn das alles ist, mögen wir hinzufügen, und doch so schwer.

Johan Cruyff war auf dem Platz mit allen Freiheiten ausgestattet, weil er wie ein Trainer dachte. Manchmal spielte er den zweiten Libero, ließ sich weit zurück fallen, um dann wieder den Antreiber zu geben, und zu seinen Dribblings und Pässen anzusetzen. Cruyff war stets schwer auszurechnen.

Für Trainer Lucien Favre steht fest, Cruyff sei einer Art „Neuneinhalber“ gewesen. Kein richtiger Stürmer, ein Antreiber im Mittelfeld mit Zug nach vorne.

Zum Fußball total also von Rinus Michels:

Und dieser totale Fußball, dessen Ziel immer das schöne Spiel mit vielen Toren sei, viele Ballkontakte zudem, sei durch viele Überlegungen, aber auch aus einer Not entstanden:

Der Totalfußball ging aus meiner Suche hervor, massierte Abwehrreihen zu durchbrechen. Das erfordert beim Aufbauen und Angreifen Aktionen, mit denen man den Gegner überraschen kann. Deshalb entschied ich mich für viele Positionswechsel in und zwischen den drei Linien…“, so der Fußballlehrer.

Jeder Spieler durfte auch angreifen, das setzte aber wieder viel Eigenverantwortung voraus, denn jeder sollte/musste auch in der Defensive helfen, bzw. in seinem Areal.

Später, nur so viel, das Buch von Schulze-Marmeling gibt noch viel mehr preis, erfindet Cruyff eine neue Methode. Man kann das Spiel schneller machen, auch wenn man im Team nicht so viele schnelle Spieler habe: „Der Ball wird nicht müde“, beschreibt der „König“. Es käme aufs timing an, wie man einen Pass genau spielen würde, und zwar nicht auf den Fuß, sondern einen Tick weiter in den Lauf.

Und später implementierte Cruyff eben diese Philosophie des Zirkulationsspiels bei Barcelona. In Katalonien, in einer Region, die nach einer neuen Identität und Identifikation dürstete. Cruyff gab Barcelona eine neue Fußballphilosophie und (s)einen Stolz zurück.

Damit dieses Fußballspiel aber auch funktionierte, müssten die Spieler bereits früh beginnen, und wenn es ginge, lange miteinander spielen. Es gibt also ganz klar einen „Zusammenhang zwischen diesem Zirkulationsfußball und der Jugendarbeit eines Klubs.“

Und was viele Trainer, aber auch frustrierte junge Spieler vielleicht mitnehmen können (wenn sie das Buch nicht selbst lesen, dann sollen andere diese Jugendspieler aufbauen, und weiterhin motivieren), ist, dass man nicht abgeschoben werden soll und darf als junges Talent, weil man anscheinend nicht in der Lage ist, einen Eckball kraftvoll und präzise vors Tor zu stoßen. Außerdem, bevor Spieler abgeschoben werden oder in der ersten oder zweiten Mannschaft auf der Bank versauern, plädiert man in Barcelona und bei Ajax dafür, auch eine dritte Mannschaft zu melden.

Besonders im U-16-Bereich entwickeln sich die Spieler noch!

Cruyff selbst war für viele Beobachter im Alter von 15 Jahren noch ein „Hemd“ – zu schmächtig, die Eckbälle verhungerten.

Auch in Deutschland, so erfahren wir immer wieder von Eltern hier im Blog, werden Spieler wegen ihrer Physis aussortiert.

Ein Glück gab es da noch den englischen Beobachter und Ajax-Coach Vic Buckingham! Dieser erkennt bereits damals, dass dieses „Hemd“ ganz andere Fähigkeiten hat:

 „Der Junge war mit Fähigkeiten in Übermaß ausgestattet, Schnelligkeit, Reaktionsvermögen, Ballgefühl, eine geschmeidige Muskulatur und Fußballintelligenz.“

Die Kraft holte sich Cruyff dann auf Anweisung im Kraftraum.

Man mag es nicht glauben, aber auch wir sind hin und wieder unterwegs, und werden Zeuge, dass selbst bei Stützpunkttrainings in den Regionen nicht immer die Spieler mit der besten Ballbehandlung anwesend sind, sondern eher robuste athletische Spieler, denen der Ball aber zu oft „verspringt“. Also? Kraft kann man an Geräten aufsatteln, aber eine schöne und saubere Ballbehandlung noch mit 14 zu erlernen, ist fast aussichtslos…

Wie gesagt, dieses Buch über Johan Cruyff vermittelt so viel Wertvolles. Die Fußballphilosophie Cruyffs, für das schöne Spiel, lebt weiter, obwohl der König tot ist.

Schließen wir mit Pep Guardiola: „Ich wusste nichts über Fußball – bis ich Cruyff traf. Durch ihn haben wir den Fußball erst verstanden. Er hat das Gegenteil von dem gesagt, was Du dein ganzes Leben lang gehört hast. (…) Er hat dir die Augen geöffnet…“

Erschienen ist das Buch „Der König und sein Spiel – Johan Cruyff und der Weltfußball“ im Verlag, DIE WERKSTATT, Göttingen

ISBN: 978-3-89533-845-8

Veröffentlicht von

Giovanni Deriu

Jahrgang 1971, Vater, 2 Kinder, lebte lange Zeit in Asien; Dipl. Sozialpädagoge (FH) für Jugend- und Erwachsenenbildung, sowie Biographie-Arbeit. Außerdem: Industriekaufmann und gelernter Journalist. Schreibt regelmäßig für das RUND Magazin und FussballEuropa.com Fünf Jahre als Juniorentrainer tätig gewesen mit Jugendtrainer-Lizenz. In Hongkong die Junioren einer internationalen Soccer-Academy trainiert. Weiterhin als Scout (für Spiele und Spieler) unterwegs. Deriu analysiert für Spieler und Eltern die Spielerberater (und Agenturen), erstellt Profile und gibt Einschätzungen.

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