Carlo Ancelotti zeigt Emotionen und seinen Mittelfinger in Richtung Hertha-Fans! Was dürfen Trainer und zahlende Fans in der Öffentlichkeit?

Welch Fall, und welch Emotionen: Bis ein Carlo Ancelotti (leise) ausflippt! Der italienische Weltmann und Erfolgstrainer wurde anscheinend auf dem Weg in die Katakomben bespuckt, wahrlich von oben herab. Das Hertha-Publikum tobte, erzielten doch die Bayern den Ausgleich erst in der 96. Minute! Dennoch, wo sind Grenzen überschritten? Und, wie lang kann ein Profi, bei allem Wissen um seine Vorbildfunktion die Fasson wahren? Ancelotti zeigte nur, was seiner Meinung nach menschlich „(un)erträglich“ ist… auch ein Erfolgstrainer darf reagieren, ein Mittelfinger verletzt schließlich keinen und auch mit einem Millionen-€-Gehalt sind Ehrverletzungen, wie das Bespucktwerden bestimmt nicht miteinkalkuliert und zu akzeptieren. Mit dieser Diskussion führen wir die Moralvorstellungen im Fußball ad absurdum.

Nun haben der DFB und Uefa wie FIFA zwar ihre Regularien und Wert(e)vorstellungen, und weil der Fußball so eine immense und tragende Rolle in der Öffentlichkeit spielt, zu Recht den Anspruch, den Fußball als sozial wie integer darzustellen – sowie, immer darauf hinzuweisen, dass die Profi-Akteure, Fußballer wie Trainer, einfach eine Vorbildfunktion zu erfüllen haben. Unausgesprochen heißt das im Klartext – überall sind Kameras, ihr werdet beobachtet, und(!) in Euren Gehältern ist das „Schmerzensgeld“ inbegriffen – ihr müsst euch ggf. auch einiges gefallen lassen, das nicht so schön ist.

Fans allein zu fassen, dingfest zu machen, passiert zwar selten – den einen aus der Masse zu picken, funktioniert nur mit einer augeklügelten Recherche der Polizei, und meist nur dann, wenn die Fälle „groß“ sind, Pyrotechnik im Spiel ist, haltlose Gewalt mit Schwerverletzten, oder wenn ein „Idiot“ etwas aufs Spielfeld wirft, und Spieler verletzt und Spiele unterbrochen werden (müssen). Beim BVB in Dortmund wurden auch einige (viele) Fans aktenkundig verfolgt, nach den unwürdigen und niveaulosen Spruchbändern gegen RB Leipzig und den tätlichen Angriffen gegen die Fans. (Fan-Ausschreitungen gab es schon immer, und ihnen wurde auch immer nachgegangen, so gut es polizeilich eben ging).

Aktion und Gegenreaktion – auf dem Weg in die Katakomben wurde der sonst stets besonnene Ancelotti also verbal attackiert – was ihn wohl erst kalt ließ, denn er versteht nicht alles. Sein Deutsch ist momentan höchstens auf B1-Niveau. Als der stolze Italiener und Championsleague-Sieger jedoch bespuckt wurde, da kam Carlo also in Wallung – aber selbst das recken des „Stinkefingers“ in Richtung Fans über ihm, kam mit sehr viel Stil rüber – irgendwie so gar nicht proletenhaft. Es war … eine kurze emotionale und „harmlose“ Geste – eines Weltmannes, der den Fußball aus dem eff-eff kennt.

Carlo Ancelotti hat erst als Profispieler, danach als Trainer viel erlebt – und er gilt nicht als Hitzkopf. Italienisch geprägt, aus einer Gegend, der Region Emilia-Romagna, in der die Leute eher als eigenbrötlerisch und ruhig sowie überlegt gelten, kennt er ein solches niveausloses Benehmen gar nicht – auf jemanden zu spucken. (Nebenbei: Wieso soll er sich das erfunden haben…?)

Egal wie hoch die Emotionen auch kochten, egal in welchem Land Ancelotti bereits Teams trainierte und Meisterschaften gewann, in Italien, Spanien sowie in England und in Frankreich, so ein Erlebnis hatte er wohl noch nie.

Schon das italienische Publikum empfand Carlo Ancelotti oft als grenzwertig und kritisch, besonders die Ultras, die den Abstand oft vermissen ließen, die Teambusse im Frust oft mit Steinen und, harmloser, mit Tomaten attackierend. In vielen Interviews schwärmte Ancelotti über England, den Fußball auf der Insel im Allgemeinen, aber auch über die Fans, die Supporters, die stets Respekt entgegenbrachten. Ihm, sowie seinem Team. Nie fühle er sich unsicher in England, gab er vor Jahren immer wieder zu Protokoll.

Jetzt also diese nasse und eklige Erfahrung in Deutschland, wo sich der Frust der (noblen?) Hertha-Fans mit einer Spuckattacke auf ihn, bzw. in seine Richtung(?), entlud. Offenkundig sah man es zwar nicht so, wie damals, anno 1990, als der Niederländer Frank Rijkaard Rudi Völler von der Seite – wie ein Lama – für alle in der Slow Motion sichtbar, ekelhaft anspuckte. Völler war so in Rage und baff, er konnte es kaum glauben, und daher kaum reagieren. War wohl besser so, für den deutschen Stürmer. Ancelotti hingegen war bereits die Treppen hinabgestiegen, mit einem Schritt bereits im Eingang zu den Kabinen – als er als letzte „Emotion“ eben noch das Zeichen nach oben setzte: den Mittelfinger. Nie war ein Mittelfinger so angebracht, um seinem Ärger und Ekel noch Luft zu machen… zeige mir den, der souveräner reagiert (also ohne Mittelfinger als Reaktion). Ancelotti war sich seiner Tat sicher bewusst, Journalisten hatten die Szene gesehen, stellten später Ancelotti (!), aber der erzählte im Anschluss auch ganz ehrlich und ruhig, warum er diese Geste gemacht habe.

Angespuckt zu werden, wenn es sich so zugetragen hat, ist die unterste Schublade und auch auf eine Stufe zu stellen wie leichte körperliche Gewalt. Das Bespucktwerden, spricht jedem die Würde ab (an erster Stelle dem Opfer), und war schon oft der Anfang für Handlungen im Affekt.

Ancelotti wird seine Strafe im dreistelligen €-Bereich wohl zahlen (müssen). Letztendlich muss diese Tat aber allgemein aufs Tapet gebracht werden: wie mit solchen Fans umgegangen werden soll.

Für Ancelotti und die Bayern kann es nur heißen: Mund abwischen, und den Mittelfinger in der Hosentasche lassen.

 

 

 

https://www.gmx.net/magazine/sport/fussball/bundesliga/carlo-ancelotti-mittelfinger-geste-hertha-spende-5000-euro-32181172

 

 

Veröffentlicht von

Giovanni Deriu

Jahrgang 1971, Vater, 2 Kinder, lebte lange Zeit in Asien; Dipl. Sozialpädagoge (FH) für Jugend- und Erwachsenenbildung, sowie Biographie-Arbeit. Außerdem: Industriekaufmann und gelernter Journalist. Schreibt regelmäßig für das RUND Magazin und FussballEuropa.com Fünf Jahre als Juniorentrainer tätig gewesen mit Jugendtrainer-Lizenz. In Hongkong die Junioren einer internationalen Soccer-Academy trainiert. Weiterhin als Scout (für Spiele und Spieler) unterwegs. Deriu analysiert für Spieler und Eltern die Spielerberater (und Agenturen), erstellt Profile und gibt Einschätzungen.

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