Der dreifache Champions-League-Sieger Carlo Ancelotti und sein Weihnachtsbaum (Teil I): Auf dem Weg zur Siegertaktik

Nach dem Spiel ist bekanntlich vor dem Spiel, und nach Weihnachten ist bereits (fast) wieder vor Weihnachten, wenn man bedenkt, dass Schoko-Nikoläuse schon Anfang Oktober wieder im Regal stehen. Der Fußball-Weihnachtsbaum des dreifachen Champions-League-Gewinners und Meistertrainers, Carlo Ancelotti aber, hat das ganze Jahr über Hochkonjunktur. Ausgehend vom 4-4-2-System fand der neue Bayern-Trainer Ancelotti dann den erfolgversprechenden „Weihnachtsbaum“.

Mit Ancelotti hat zuletzt der königliche Club Real Madrid den Henkelpott, die Champions-League, gewonnen. Aber bereits auf dem Weg ins Finale setzten die Königlichen ein dickes Ausrufezeichen gegen Bayern München. Im Bernabeu gewann Madrid „nur“ 1:0, was Ancelotti dennoch als „optimales Ergebnis“ in seinem Buch, „Carlo Ancelotti – Il mio Albero die Natale“ („Mein Weihnachtsbaum“; erschienen auf Italienisch im BUR Rizzoli Verlag Milano), beschreibt. Das 4:0 bei Bayern München aber, war ein Highlight und eine Fußball-Demonstration vom Feinsten im Match der Taktik-Füchse (Carlo vs Pep).

Schade, dass es dieses Buch bisher nur in italienischer Sprache gibt, denn wie Carlo Ancelotti selbst, ist das Buch authentisch und bodenständig verfasst, und auch gut zusammengetragen von Ancelottis ehemaligem Assistenten, Giorgio Ciaschini.

Der ehemalige Fußball-Profi und Nationalspieler der Squadra Azzurra, sowie Schüler von Arrigo Sacchi (Ancelotti wurde als Sacchis Assistent mit der italienischen Nationalmannschaft Vize-Weltmeister 1994; Anm. des Autors) gewann je einmal mit dem AC Milan und Real Madrid die Club-Weltmeisterschaft. Und wer als Trainer auch mit Silvio Berlusconi, Patron des AC Milan, umzugehen weiß, der ist mit allen Wassern gewaschen – denn hineinreden lassen in die Taktik oder Aufstellung, das betont „Carletto“ immer wieder, ließ er sich nie.

Berlusconi (wie in rund-magazin.de beschrieben:http://rund-magazin.de/news/1180/26/Ancelotti-und-Kaka/) sah z. B. den brasilianischen Wunderknaben Kaká immer als Stürmer, Ancelotti dagegen als Mittelfeldspieler, der aus der Tiefe kam – oder hängende Spitze.

So traute auch Ancelotti kaum seinen Augen, als Kaká das erste Mal bei Milan vorsprach und vorspielte: „(…) Brille, gestriegelt und gekämmt, das Gesicht eines typisch braven Jungen, nur sahen wir keine Schultasche mit dem Pausenbrot darin. Er hatte rein gar nichts von einem brasilianischen Topspieler, eher erinnerte er mich an ein Mitglied der Zeugen Jehovas…“ (das soll nicht despektierlich, sonder als Lob verstanden werden! In Italien gibt es eine große Community)

Aber schnell zeigte Riccardo „Kaká“, dass er wie ein Tornado über das Feld und die Gegner fegte. Mein System, so Ancelotti, war quasi geboren.

Als moderner „Dreiviertel-Stürmer“,  „trequartista del calcio moderno“, wusste Kaká immer, wie er sich zu bewegen hatte. Er stieß in die Freiräume und kreierte ebenso welche. Nutznießer war dann oft Beppe Inzaghi.

Ancelotti passte sein System auch der Anzahl seiner Topstars an, um aus jedem Spieler das Maximale herauszuholen.

Beim „Weihnachtbaum“ auf der Taktiktafel, nimmt die taktische Aufstellung exakt diese Form an. Kaká und Seedorf spielten hinter der einzigen Spitze, dem Konterstürmer und lauernden Abstauber, Inzaghi.

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Es ging Ancelotti (sowie auch van Gaal, der es immer wieder erwähnt) darum, möglichst viele Linien auf dem Platz mit Spielern zu kreieren. Denn, wenn die Außenspieler aus der Viererkette, versetzt nach vorn den Raum besetzen, genauso in der Dreier-Mittelfeldkette, dann entstehen sechs Linien auf dem Platz.

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Außerdem, so beschreibt es der erfolgreiche Club-Trainer: Auf den Außenpositionen sind schneller Triangeln oder Dreiecke zu gestalten, und im Mittelfeld ist eine höhere Dichte an Spielern bei Ballbesitz und auch eine bessere Kontrolle des Spielrhythmus möglich.

Ausgehend vom 4-4-2, waren Ancelottis Teams immer sehr variabel, den Weihnachtsbaum schnell aufzustellen zu einem  4-3-2-1 , manchmal auch mit einem 4-3-3 auf dem Papier.

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Mit Real Madrid in München, nach eingehenden Analysen, wie Ancelotti preis gibt, setzte sein Team um Cristiano Ronaldo und Bale bewusst auf ein 4-3-3 bei Ballbesitz und schnellem „Ausschwärmen“, um bei Ballbesitz der Bayern wiederum auf ein 4-4-2 zu switchen, gleichzeitig die Bayern von Guardiola mit einem Pressing unter Druck setzend. Dass Reals erste Treffer dann auch noch nach Standards fielen, spielte Real in die Karten. Die Bayern schafften es zu keinem Zeitpunkt, ihr Spiel aufzuziehen. Ancelotti gab auch vor dem Match exakt die Order aus, und ließ diese dann im Training vielmals üben, sich nie von den (üblichen) schnellen Spielzügen der Bayern mitreißen zu lassen. Das war der Schlüssel zur „decima“, wenn auch das Finale nochmals sehr eng wurde im Derby gegen Atletico. Auch darauf geht Ancelotti im Buch ein.

Ein sehr lesenswertes Buch, wenn auch z. Zt. nur auf Italienisch, aber ich werde es hier in Abständen ein bisschen näher beschreiben.

Denn Carlo Ancelotti geht noch auf viele andere Facetten seiner Tätigkeiten und die des Trainerberufs ein. Von Team- und Spielerbeschreibungen bis hin zu selbstreflektierenden Kommunikationsmethoden, alles bestens wiedergegeben. Sowie die ständige Vergrößerung des Trainer- und Funktionsstabs, der STAFF, in den vergangenen Jahren, wird ebenso besprochen und beschrieben. Außerdem ist das Buch ein Fundus, an Spiel- und Taktikbeschreibungen.

Fortsetzung folgt…

Erschienen ist das Buch bei BUR Rizzoli,

ISBN 978-88-17-07677-7

 

 

Veröffentlicht von

Giovanni Deriu

Jahrgang 1971, Vater, 2 Kinder, lebte lange Zeit in Asien; Dipl. Sozialpädagoge (FH) für Jugend- und Erwachsenenbildung, sowie Biographie-Arbeit. Außerdem: Industriekaufmann und gelernter Journalist. Schreibt regelmäßig für das RUND Magazin und FussballEuropa.com Fünf Jahre als Juniorentrainer tätig gewesen mit Jugendtrainer-Lizenz. In Hongkong die Junioren einer internationalen Soccer-Academy trainiert. Weiterhin als Scout (für Spiele und Spieler) unterwegs. Deriu analysiert für Spieler und Eltern die Spielerberater (und Agenturen), erstellt Profile und gibt Einschätzungen.

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