Trainer-Karriere, Biografien: Ein einmaliges Vater-Sohn-Gespräch unter Trainern. Wahrscheinlich wollte der FC Bayern Carlo Ancelotti nie richtig verstehen? Carlos Markenzeichen bleibt: in der Ruhe liegt die Kraft!

Wenn Carlo Ancelotti etwas nicht verdient hat, dann die Art und Weise, wie despektierlich sich die Spieler sowie der Club an sich, im Nachhinein, über Carlo Ancelotti äußern. Klar, der italienische Meistertrainer und dreimalige Champions-League-Sieger steht drüber, aber wundern tut er sich dennoch, dass ein Club vom Renommee des FC Bayern, seinen Rausschmiss auch noch so schäbig kommentieren muss im Nachgang. Was so nicht alles gestimmt haben soll, ein zu lasches Training (obwohl dieses eher wohl dosiert war, um bei der Fülle der Spiele, einfach den Kader angemessen zu schonen; Verletzungen wie im Falle Ribèry, holt man sich schnell), falsche Taktik und Systeme, und was nicht noch alles an „schmutzige Wäsche“ aus der Trommel kam. Hätten die Bayern und deren Stars Ancelotti auch nur annähernd verstehen, ja, verinnerlichen wollen, hätten sie mal nach London zu Chelsea, oder zu PSG, aber vor allem nach Madrid schauen sollen. Auch dort gewann Ancelotti sehr viel mit seiner (ruhigen) Art, mit seiner Erfahrung als ehemaliger Spieler und Champions-League-Gewinner. Gerade als Trainer gewann Ancelotti gleich drei Mal die Königsklasse, mit dem AC Milan, mit den Königlichen von Real – und immer wieder durch (s)eine Art und Weise: mit viel Ruhe, taktischem Verständnis und psychologischem Geschick, Stars (und Carlo trainierte die Größten à la Beckham, Inzaghi, Schevchenko, Ibrahimovic oder eben Ronaldo, Marcelo, Kroos und Modric, um nur ein paar zu nennen) zu einer absoluten Einheit zu formen. Bayern wollte abermals die Champions-League nach Heynckes gewinnen, was nicht einmal Pep Guardiola gelang. Wer Ancelotti wirklich tief verstehen möchte, und seine ruhige Ausstrahlung nicht mit Faulheit gleichsetzt, sollte sich das Champions-League-Finale von Real gegen Atletico Madrid noch einmal ansehen:

 Am 24. Mai 2014 gewann der Verein das Endspiel schließlich gegen den Stadtrivalen Atlético Madrid mit 4:1 nach Verlängerung und sicherte sich damit nach zwölf Jahren Wartezeit „La Décima“, den zehnten Champions-League-Titel der Vereinsgeschichte. Unter anderem schlug Ancelottis Real die Bayern damals im Halbfinale mit einem Gesamtergebnis von 5:0 (!), Carlo hatte Pep Guardiolas Taktik durchschaut. Dass Cristiano Ronaldo auch seinen Teil dazu beitrug ist klar.

Aber, zurück zum Finale gegen Atletico, ab der 36. Minute lag Ancelottis Team durch Godin und einer Fehlerkette in der Abwehr mit 0:1 zurück. Atletico war im Stadtderby und Champions-League-Finale die zu erwartende „harte Nuss“. Real versuchte sehr viel, ging ein hohes Tempo, Atletico konterte immer wieder, aber Carlo Ancelotti blieb ruhig, fast stoisch (wie eben auch aus München bekannt; egal ob bei einem Treffer der Bayern oder der Gegner).

Ancelotti ist wirklich überzeugt davon, dass übertriebene Emotionen oder gar ein ständiges Hineinschreien, kaum etwas bewirkt. Im Vorfeld sei ja bereits alles besprochen worden. Jedenfalls blieb Ancelotti auch ruhig und gelassen, als hätte er stets daran geglaubt (und er hat es wirklich, wie er später zugab), sein Team würde den Ausgleich noch erzielen. Und so kam es, in der 90.+3. Minute köpfte Sergio Ramos den Ball in die Maschen. Der Rest ist bekannt, Atletico brach auseinander.

Das sei nur vorausgeschickt, einfach, um zu zeigen, dass die Bayern und Ancelotti wohl nicht zusammen passten, weil sie den Italiener nie verstehen wollten. Der Maestro dagegen wusste, was die Bayern von ihm verlangten, er fühlte sich bei den Bayern nicht unwohl, wie auch die folgenden Passagen aus dem Gespräch zwischen Carlo Ancelotti und dessen Sohn und Co-Trainer Davide für Sky-Sport Italia zeigen. In den Pressekatakomben bei den Bayern, entstand ein interessantes „Zwiegespräch“, bei dem etliche Themen offen angesprochen wurden:

In der Intro des Sprechers heißt es, Vater und Sohn, ein Herz, dasselbe Blut, sie teilen sich die Trainerbank und die Bank im heimischen Garten. Das Abenteuer Bayern gehen sie gemeinsam an, Carlo Ancelotti beginnt mit der Frage an Davide: „Hast Du eigentlich Probleme, da Du ja fast dasselbe Alter wie die Spieler hast, sie zu leiten, ihnen etwas zu sagen?“ Davide antwortet ehrlich: „Nein, im Gegenteil, die Professionalität der Spieler ist auf diesem Level sehr hoch, und sie akzeptieren auch neue Rollen und Übungen…“.

Der Sprecher und Redakteur meint im Bericht kommentierend, „die Bayern würden beide nicht als Vater und Sohn wahrnehmen, oder gar von Nepotismus sprechen, nein, alle erzählen, wie gut beide seien.“ (Im Nachhinein fast schon traurig, bedenkt man, was von den Spielern Falsches kolportiert wurde)

Nun fragte Davide seinen Vater: „Die Tatsache, dass Du Deinen eigenen Sohn als Assistenten hast, wie siehst Du diese Situation, ist es schwer für Dich?“

Carlo Ancelotti darauf: „Für mich ist es einfach eine neue schöne Erfahrung, warum? Weil Du viel Enthusiasmus und Engagement mitbringst, genauso neue Erfahrungen und einen unvebrauchten Blick auf die Dinge, die wichtig sind. Du hast viel Leidenschaft, und bist immer sehr aufmerksam, Du achtest vielleicht auf die Dinge und Details, auf die ich nicht achten kann, weil ich viele andere Dinge berücksichtigen muss. Wir planen das Training zwar zusammen, aber Du siehst, z. B., wenn platzierte Schüsse gefragt sind, oder wie die Pässe in den Lauf gespielt werden sollen…mir gefällt es, Sachen an Dich zu delegieren, weil Du imstande bist, mich auch zu verstehen und die Dinge umzusetzen.“ Und der „Mister“ fragt seinen Sohn: „…und wie ist es für Dich, Deinen eigenen Vater quasi als Chef, als Capo zu haben?“

Darauf Davide: „Also, so wie Du Vertrauen in mich hast, habe ich Vertrauen in Dich. Außerdem bist Du der richtige Lehrmeister dafür, was ich eines Tages machen möchte. Außerdem ist die Kommunikation zwischen uns, gerade weil Du mein Vater bist, viel schneller, und viel direkter. Wenn Du

z. B. etwas machst, das vielleicht nicht so gut ankommt, dann sage ich es Dir auch. Manchmal teilen die Spieler dem Trainer ja nicht alles mit…“

Wie bewerten beide ihre eigenen Rollen, wie sind sie gewachsen?

Carlo Ancelotti, während Bilder von Arrigo Sacchi von der WM 1994 eingeblendet werden, denn Carlo Ancelotti startete als Assistent von Arrigo Sacchi: „Dadurch dass ich als ehemaliger Spieler Sacchis plötzlich sein Assistent wurde, und auch noch viele Spieler selbst kannte, hatte ich zu ihnen einen ganz anderen Draht klar. Sacchi führte mich gut, ich bekam auch ein bisschen Verantwortung übertragen, ja, ich lernte sehr viel. Die Spieler hatten zu mir vertrauen, und ich konnte natürlich nicht alles Sacchi sagen, was mir die Spieler anvertrauten…“ Davide unterbricht ein bisschen lachend und meint: „Das ist ja bei mir genauso, denke bloß nicht, dass ich Dir alles sage, was die Spieler mir sagen…“, Carlo Ancelotti erwidert daraufhin: „…Na, hoffentlich nicht, das sind auch wichtige Dinge, manche Dinge vertraulich zu belassen…“

Bei Sacchi war es genauso, „manche Dinge musste ich von ihm fernhalten“, erzählt Carlo. Ein Assistent, so der Vater weiter, müsse „sehr gut austarieren und die richtige Mischung finden, welche Informationen er weiter gibt, und welche nicht – und vor allem wann? Und, sind sie auch wichtig für den Trainer, für das Team?“

Carlo fragt Davide etwas bewundernd: „Sag mal, wie hast Du es geschafft, so gut Deutsch zu lernen?“ (Und Davide Ancelotti sprach bereits besser als Pep Guardiola, sehr gut verständlich, auch vom Sinn-Inhalt)

Davide Ancelotti darauf: „Ha, wie habe ich es geschafft, ich habe viel gelernt…“ – Ja, so der Vater, „das habe ich doch auch, fast sechs Monate lang…“

Davide weiter: „Ja, vielleicht fällt es mir leichter…“

Beide sind sich aber einig, dass die Grammatik „sehr schwierig ist“.

Über die Bayern allgemein

Davide Ancelotti: „Wir sind gut aufgenommen worden, mich erinnert es hier ein bisschen an AC Milan. Sehr familiär geführt, und viele Ex-Spieler sind hier…“

Carlo Ancelotti: „Ja ein bisschen Ähnlichkeit ist da, und es geht schon familiär zu mit all den Ex-Profis, wie z. B. Karl-Heinz-Rummenigge. Berlusconi dagegen war ja nie ein Fußballprofi, aber er schaffte es, eine tolle und professionelle Atmosphäre zu schaffen.“

Zum Trainer-Team, zur Staff

Davide Ancelotti, relaxed auf dem Sofa neben seinem Vater, setzt an: „Ich finde es ist auch wichtig für die Spieler, ein einheitliches und harmonisches Team zu sehen. Im persönlichen wie im professionellen Bereich.“

„Absolut, definitiv, sehr wichtig“, gibt ihm der Vater Recht. Carlo Ancelotti: „Neben der Mannschaft der Spieler, gibt es das Team der technischen Abteilung, in dieser sind wir als Trainer, dann die Physiotherapeuten, die Ärzte, die Betreuer und andere, und wir müssen harmonieren, und uns täglich absprechen. Auf dem Gebiet der Taktik muss man sich immer austauschen…“

Taktik, gutes Stichwort,

„Lass uns über Taktik sprechen“, so der Vater zum Sohn. „Über Taktik?“, fragt Davide.

Carlo: „Nenne mir doch die technischen Voraussetzungen im Fußball!“

Davide: „Willst Du nun mit mir eine Prüfung machen? (und lacht) Also, es sind sieben grundlegende: die Schusstechnik, Ballannahme, Kontrolle, Kopfball, Torhütertechnik, Abwurf mit der Hand, … es fehlt eine…“

Carlo Ancelotti macht das Zeichen, beide Handflächen gegeneinander, „Und?“ – „Ja, das Tacklen, Tackling“, antwortet Davide.

Gleich darauf lassen sie sich über die Spielfeldgröße und Tormaßen aus, Carlo Ancelotti beherrscht die Maßen aus dem eff-eff.
Ancelotti bemängelt ein wenig, lacht aber dabei, dass sich die Spieler für die Spielfeldgröße kaum interessieren, dann würden dann schon Sätze kommen wie: „Trainer, ich habe den Pass diagonal über sechzig Meter gespielt…“, in Wahrheit waren es aber nur zwanzig oder dreißig, hält der Cheftrainer fest.

Und sein Sohn Davide testet den Vater, mit Wissen und Regeln aus der Sportschule in Coverciano: „Und wie müsste das Spielsystem sein…?“ Carlo Ancelotti reibt sich das Gesicht… „Oh, komm, das musst Du wissen…“

Ancelotti: „Ey, ey, ey, also, ausgeglichen, elastisch (flexibel oder variabel gemeint) und … rational.“ Richtig, Vater und Sohn klatschen ab.

Die neuen Technologien

Ancelotti zu Davide: „Ich bin schon älter, und der Fußball ist eigentlich einfach, aber die Technik und Technologie liefert immer mehr Daten und Zahlen, Statistiken. Wie siehst Du es?“  Davide Ancelotti: „Ja, wir können alle Daten liefern, Ballbesitz, Diagonalpässe, etc.“

Carlo Ancelotti: „Fakt ist, die Daten sollen die Arbeit erleichtern, und nicht schwerer machen, oder überfrachten. Aber mit Video arbeiten, Fehlerquellen aufzeigen, und Verbesserungen im Training aufzeigen, ist sehr wichtig.“

Aber, und da sind sich Vater und Sohn einig: „Bei eigenen Spielszenen sind die Spieler viel aufmerksamer, als bei Spielszenen der Gegner. Da schalten Spieler schneller ab.“

Überhaupt, so Carlo Ancelotti, „es ist immer besser, über das eigene Spiel zu sprechen, und nicht über den Gegner… wie Du weißt, habe ich es in Madrid immer vermieden, in den Sitzungen Messi zu thematisieren. Messi war Tabu! Den Gegner sachlich analysieren, aber nicht überbewerten, jeder kennt Messi, zusätzliche Bedenken braucht man vor dem Match nicht.“

 

 

 

 

 

Veröffentlicht von

Giovanni Deriu

Jahrgang 1971, Vater, 2 Kinder, lebte lange Zeit in Asien; Dipl. Sozialpädagoge (FH) für Jugend- und Erwachsenenbildung, sowie Biographie-Arbeit. Außerdem: Industriekaufmann und gelernter Journalist. Schreibt regelmäßig für das RUND Magazin und FussballEuropa.com Fünf Jahre als Juniorentrainer tätig gewesen mit Jugendtrainer-Lizenz. In Hongkong die Junioren einer internationalen Soccer-Academy trainiert. Weiterhin als Scout (für Spiele und Spieler) unterwegs. Deriu analysiert für Spieler und Eltern die Spielerberater (und Agenturen), erstellt Profile und gibt Einschätzungen.

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