Trainerbiografie und Karriere: Von den Sternen zurück in den Stall – Claudio Ranieri erlebt innerhalb eines Jahres ein Wechselbad der Gefühle. Erst Meister, nun das AUS in Leicester – Wie „erdet“ ein Coach sein Team nach dem größten Erfolg?

Dass der Fußball schnelllebig ist, weiß jeder, der sich mit ihm beschäftigt, und die, die mit ihm Geld verdienen, ob als Funktionär, Spieler oder Trainer wissen auch, dass im Fußballbusiness oder im Business Fußball eben kein Platz für Sentimentalitäten und Ehrlichkeit ist: vor nicht einmal 300 Tagen feierte der englische Premier-League-Club Leicester City den wohl größten Vereinserfolg seiner Geschichte, nämlich die Meisterschaft, die zur Teilnahme an der Champions League berechtigt und dazu viel Geld einspielt. Das Märchen schlechthin, und der König dieses Abenteuers war damals Claudio Ranieri, der italienische Coach. Gestern wurde Ranieri gefeuert, weil es in dieser Saison einfach nicht so lief wie erwünscht – einen Punkt trennt Leicester noch vom Abstiegsplatz. Auch die knappe Niederlage gegen Sevilla (1:2) in Spanien, die noch alle Chancen aufs Weiterkommen beinhaltet, rettete Ranieri nicht mehr. Der 65-jährige Italiener schaffte in England zwar das größte Wunder, der Club Leicester steht nun aber wieder dort, wo ihn die Experten auch anno 2016 eigentlich sahen, nämlich weit unten.  Die Quoten auf einen Abstieg zu wetten sind heuer natürlich niedriger als damals, wo nur „Verrückte“ und Wagemutige auf Leicester als Meister tippten.

Eigentlich hätte man Claudio Ranieri gewünscht, er hätte seinen Abgang bei Leicester selbst bestimmt. Der stolze und dennoch bodenständige Italiener hätte die Zeichen selbst erkennen können, und freiwillig seinen Platz räumen müssen – um sein Denkmal „unbefleckt“ zu lassen. Doch wie so oft, manch ein Trainer erkennt den Zahn der Zeit nicht, der an allem nagt. Zu groß waren wohl Zuversicht und Glauben an seine eigenen Stärken, das Team noch zu erreichen und zu motivieren, aber auch an die Fähigkeiten der Spieler, diese würden noch die Kurve in dieser, höchst angespannten Situation, kriegen. Irgendwann würde der Knoten schon platzen, dachte Ranieri mit seinem italienischen Trainer-Team.

Die ganze Welt staunte über das Fußballmärchen von Leicester, und verbeugte sich vor Ranieri, der das Unmögliche möglich machte. Ranieri selbst wollte es selbst so lange nicht glauben, und leugnete, bis es geschafft war. Zu vergleichen war das Wunder höchstens noch mit dem EM-Titelgewinn der Griechen unter Otto Rehhagel, 2004 in Portugal. Wie bei Leicester eben, man glaubte eher daran, dass „das Ungeheuer von Loch Ness“ oder ein Yeti erscheinen würde.

 

 

 

Claudio Ranieri, der König von Leicester. Der fürsorgliche Daddy aller Spieler, die er gekonnt instruierte, stark redete, und ein System spielen ließ, das auf schnelle Konter, Überraschungsattacken aber auch auf einer dichten Staffelung im Mittelfeld beruhte. Die Etablierten, die großen Clubs, waren so überrascht, dass sie selten Mittel fanden, Leicesters Schnellzug zu bremsen. Ein schneller und unbekannter Stürmer Vardy, der jüngst noch Amateur war, traf am laufenden Band und wurde Nationalspieler – und nun plötzlich traf er häufiger das leere Tor nicht. Auch die Teilnahme an der Champions League raubte wohl zusätzliche Energien, denn arg oder effektiv verstärkt, man wundere sich, wurde der Kader nicht. Böse Zungen meinten, die Feierlichkeiten dauerten so lange, dass das Team, aber auch die Fanszene mit einem Rausch in die Saison startete, wobei der Kater dann mittendrin folgte – und noch andauere.

Hier ist einmal mehr hohe Psychologie gefragt, wie soll man einen „Underdog“, einen Emporkömmling „erden“, wieder auf die Realität vorbereiten, wenn er selbst, aber auch das Umfeld, Gegebenheiten negiert, und meint, man könne jetzt entweder genauso weitermachen, oder mit halber Kraft agieren? Viel Detailarbeit und Gespräche sind in solch einer Situation gefragt! Man muss als Coach, so hart es sein mag als „Spaßbremse“, einen Cut machen, den Reset-Knopf drücken, und alle im Kader ungefähr so impfen: „Wir haben zwar Geschichte geschrieben, aber das ist leider schon Vergangenheit. Wir beginnen jetzt wieder bei Null, und das Trainerteam sowie ich als Headcoach entscheiden nur nach Leistung, nicht nach Meriten. So ist der Fußball, Jungs, ihr habt den Fans schon viel gegeben, aber ihr habt eigentlich auch eure Pflicht als Berufsfußballer getan. Ihr habt für den Erfolg und für die Ehre alles gegeben. Ihr verdient gutes Geld. Im Team bekommt jeder, der alles gibt, seine Chance. Die Gegner haben sich aber auf uns eingestellt, sie werden uns jagen. Der Erfolg ist passé. Wir starten bei Null. Wer das nicht begreift, soll nun hervortreten, und es offen sagen… seid Ihr gewillt, wieder bei Null zu beginnen, und so zu kämpfen für den Erfolg, wie in der vergangenen Saison? Uns wurde nichts geschenkt…“, so in etwa müsste eine Ansprache am ersten Training gehalten werden.

Wir gehen davon aus, dass es Ranieri in ähnlicher Weise auch getan hat, das Team auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen. Ein Trainer, besonders im Erfolgsfall, muss sich ständig hinterfragen, ob er und seine Staff auch alles beachten, noch richtig machen, auch alle Spieler, von der Eins bis zur 23 wirklich noch erreichen? Bei den kleinsten Zweifeln, und wenn nichts korrigiert werden kann, müsste der Trainer eigentlich immer Konsequenzen ziehen. Eigentlich.

Der letzte Titel Ranieris im Jahr 2017 war dann auch die Trophäe als „FIFA-Trainer des Jahres“.

Vielleicht hielt sich König Ranieri auch für „unkündbar“, wie viele Fans auch gedacht hatten – Der Meistermacher, nach 133 Jahren war Leicester endlich wieder „blau“, sollte wohl ewig bleiben. Aber, Abschiede und Kündigungen, kommen oft – unverhofft. Interessant ist immer, wie diese klingen können:

Gestern also kam ein Schreiben aus Thailand. «Es war die schwierigste Entscheidung, die wir in den sieben Jahren bei Leicester treffen mussten. Aber wir müssen die Klubinteressen vor die persönlichen Empfindungen stellen», schrieb der Vize-Chef Aiyawatt Srivaddhanaprabha.

 

Etwa drei Wochen zuvor noch, erreichte Ranieri und dessen Trainerteam ein ganz anderer Brief:

«Unerschütterliche Rückendeckung» stand darin. Und man erinnerte, «Der beispiellose Erfolg der letzten Saison basiert auf Stabilität, Zusammenhalt, und Entschlossenheit, um auch die grössten Herausforderungen zu meistern.»

Dass solche Bekenntnisse im Fussball auch «Kiss of Death» genannt werden, rückte in den Hintergrund, meint der renommierte und originelle Reporter Reto Fehr von Watson.ch

Ranieri selbst hat in seinem Trainerleben wirklich alles erlebt, mit Leicester seinen größten Erfolg, der auch bleiben wird. Geprägt wurde aber Ranieris Werdegang als Coach auch von etlichen Kränkungen. Obwohl der gebürtige Römer ein harter und zuverlässiger Arbeiter seiner Zunft war, stellten ihn andere Trainer gern als einfach strukturiert und gutgläubig dar, es würde ihm an Härte fehlen, um die großen Erfolge im Fußball zu feiern. Selbst José Mourinho äußerte sich einmal despektierlich über Ranieri in Italien. Ranieri damals bei der Roma, Mou bei Inter, lieferten sich einen Schlagabtausch. Ranieri bemängelte Mourinhos fehlenden Respekt, und Mourinho wiederum konterte in einer Pressekonferenz in etwa so: „Alle reden immer von Inter und von mir. Ich kann nur sagen, ich mache meine Arbeit. Roma wird am Ende wieder ohne Titel („zero tituli“) da stehen…“, wie der Trainer auch, so in Anspielung auf Ranieri.

In England selbst, beim Aufeinandertreffen mit Ranieri, leistete der „geläuterte“ Mourinho gar Abbitte. (Mourinho selbst wurde bei Chelsea nach seiner Rückkehr während einer Krise geschasst; und einfach tut er sich derzeit bei Manchester United auch nicht).

Mourinho unmittelbar nach der Ranieri-Entlassung:

„Englischer Meister und FIFA-Trainer des Jahres. Gefeuert. Das ist der neue Fußball. Lächle weiter. Keiner kann die Geschichte löschen, die du geschrieben hast.“

 

So ein Lob von Mourinho muss man sich erst einmal verdienen…
Ranieri hinterließ jedoch überall Spuren, auch als Mourinhos Vorgänger beim FC Chelsea London. Man kann sagen, der Italiener ebnete den Weg für Mourinho später. Ranieri trainierte Chelsea sehr professionell und brachte den Hauptstadtclub in die Champions League, wenn auch nicht als Meister. Claudio Ranieri baute während der Saison bei Chelsea Talente wie John Terry, Robert Huth oder Carlton Cole in die Mannschaft ein.
Auch in Spanien, wo Ranieri den FC Valencia und Atletico Madrid trainierte, bescheinigte man ihm bis heute gute Arbeit und ein Auge für Talente.
Ranieri wurde immerhin Pokalsieger mit Florenz in Italien, sowie auch in Spanien mit Valencia. Doch die echte Krönung als Meistertrainer holte sich der Italiener beim FC Leicester City, wo die Erfolgsgeschichte gestern vorerst ihr Ende fand…

 

Veröffentlicht von

Giovanni Deriu

Jahrgang 1971, Vater, 2 Kinder, lebte lange Zeit in Asien; Dipl. Sozialpädagoge (FH) für Jugend- und Erwachsenenbildung, sowie Biographie-Arbeit. Außerdem: Industriekaufmann und gelernter Journalist. Schreibt regelmäßig für das RUND Magazin und FussballEuropa.com Fünf Jahre als Juniorentrainer tätig gewesen mit Jugendtrainer-Lizenz. In Hongkong die Junioren einer internationalen Soccer-Academy trainiert. Weiterhin als Scout (für Spiele und Spieler) unterwegs. Deriu analysiert für Spieler und Eltern die Spielerberater (und Agenturen), erstellt Profile und gibt Einschätzungen.

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