Der VOLLGASFUSSBALL von Jürgen Klopp – eine Rezension zum Buch dazu

Buchrezension: VOLLGASFUSSBALL

 Die Fußballphilosophie des Jürgen Klopp

 Durch Gegenpressing technisch schwache Spieler aufwerten

 Halb Biographie, halb Analyse der Spielphilosophie und flexibler Systeme des Jürgen Klopp, ist das gelungene Buch von Martin Rafelt, „VOLLGASFUSSBALL – die Philosophie des Jürgen Klopp“, der als Blogger bei Spielverlagerung.de aktiv, aber auch sonst journalistisch tätig ist. Zudem, und das will schon was heißen, arbeitete Autor Rafelt (der auch im Amateurbereich als Juniorentrainer tätig war) Thomas Tuchel als Analyst und Scout zu. Jedenfalls ist das Buch recht aktuell, denn Klopps Erfolgsstory beim FC Liverpool, nach dessen Weggang beim BVB, wird im Buch, das 175-Seiten stark ist, auch noch beschrieben und analysiert. Ja, analysiert wird im Buch sehr viel – und jedenfalls lernt der Leser, dass die Taktik, oder besser, das Spielsystem während eines Matchs mehrmals geändert werden kann/muss, wenn man modern agieren und den Gegner kontrollieren will. Das Stadion an der ehrwürdigen Anfield Road in Liverpool glich einem Tollhaus, als Klopps Mannen im Rückspiel, aus einem 1:3-Rückstand noch einen 4:3-Sieg in der Nachspielzeit schafften. Ausgerechnet gegen seine „Alte Liebe“ Borussia Dortmund, entstand dieses dramatische Duell, Geschichten eben, wie sie nur der Fußball schreibt. Zu viel wollen wir hier nicht vorwegnehmen, denn es ist besser, jeder Interessierte soll sich das Buch besorgen(erschienen im Verlag Die Werkstatt), aber es wurde in diesen beiden Spielen schon klar, dass Jürgen Klopp, der gebürtige Schwabe aus Stuttgart, ein gewiefter Taktiker ist. Bereits in der noch recht kurzen Liverpooler Zeit gewann der FC oft Spiele am Ende in der Nachspielzeit, denn noch hatte das britische Team Klopps Philosophie und Systemvariationen nicht verinnerlichen können. Aber, ein paar Bausteine waren schon entscheidend (auch wenn das Europa-League-Finale dann doch deutlich gegen FC Sevilla mit 1:3 verloren ging – 1:0 geführt, und dann der Knock out in 4 Minuten) in den ersten Partien des FC Liverpool. In Liverpool, so schreibt Rafelt, und es fiel auch uns in Diskussionen auf, hatte sich ein 4-2-3-1 eingespielt und automatisiert, aber in Dortmund ließ Klopp ein 4-3-3 spielen. Und wie einst in Dortmund, stellte das Team selbstständig um, auf ein 4-5-1, wenn ein Abwehrpressing gefragt war, und da fielen dann die Außenstürmer zurück.

Im Rückspiel, begann für den BVB mit einem 4-4-1-1 wie einst unter Klopp alles sehr verheißungsvoll, die Borussia führte 2:0 und 3:1. Doch Tuchels 4-4-1-1 fehlte irgendwie die Genauigkeit und Perfektion im Pressing. Klopp dagegen ließ ein 4-2-3-1 spielen. Die Flügelspieler schalteten sich immer wieder mit ein. Trotz den Rückstandes gewann der FC Liverpool mehr Spielanteile, und Thomas Tuchel verkalkulierte sich mit einer Systemumstellung auf ein 5-3-2. Die Borussia ließ sich zunehmend einschnüren, der Rest ist bekannt. Dass auch eine Menge Psychologie im Spiel war, weiß jeder, der lange genug den Profifußball beobachtet, und der auch Jürgen Klopp kennt. Natürlich hatte dieser in der Kabine auch an die Ehre appelliert und seine Spieler gefragt, ob nicht auch sie endlich „Geschichte schreiben wollen“?

Dieser Abend in Liverpool war quasi „Vollgasfußball“ pur, die Frage wird natürlich immer sein, wie lange es Klopps Spieler eins-zu-eins umsetzen können. Wichtig in Klopps Spielphilosophie ist auch immer die Fitness. Wie gesagt, im Buch erfährt man viel über Jürgen Klopps Anfänge, besonders beim BVB (und ausgerechnet Vorgänger Thomas Doll kommt etwas zu schlecht weg, im sonst sehr sachlichen Buch).

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Es ist schon ein Fachbuch über Systeme und Taktiken, aber auch gespickt mit interessanten Porträts und Beschreibungen von Spielern, die das System, sowie die Philosophie Klopps sehr mitgetragen haben.

Immer wieder sind „Exkurse“ im Text – so heißt es zur Definition der Taktik:

„Die Taktik bezeichnet hier die konkrete Umsetzung der Strategie: Wann bewege ich mich wohin, welchen Pass spiele ich in welcher Situation, wann gehe ich ins Dribbling, über welche Räume versuche ich anzugreifen und so weiter. (…)“

Heruntergebrochen im Fachbuch heißt es zur Philosophie Klopps: „Die Philosophie ist, so viel wie möglich richtig zu machen – und nicht, so wenig wie möglich falsch zu machen. Bei seinen Ideen gehe es immer um Aktivität.“

Irgendein System zu haben reiche Klopp nicht, es soll schon das perfekte System sein.

Jedenfalls hatte Klopp nach seiner Ankunft aus Mainz, beim BVB die richtigen Ansprachen geliefert, um die Spieler, den Club und die ganze Region für sich zu begeistern. Und damit für die Borussia. Auch auf Klopps Trainerteam, auf das er sich seit Jahren verlässt, besonders „blind“ auf seinen Co-Trainer Zeljko Buvac, wird eingegangen.

(Klopp, Peter Krawietz und Buvac) Buvac wird als „das Gehirn“ des Trios beschrieben, weil er Übungen und Trainingseinheiten konzipiert, zudem spielte Buvac mit Klopp bei Mainz zusammen, als spielmachender Sechser. Eine Position, die viele große Trainer auch als Spieler inne hatten (Guardiola, Ancelotti). Klopp jedenfalls schwärmt vom Wissen Buvacs über den Fußball.

Klopp war in Mainz, Dortmund sowie jetzt in Liverpool stets in der Lage, die Brücke zwischen Rationalität, Emotionalität (sehr viel bei Jürgen Klopp) und Intuition schlagen zu können. Die Grundlage einer passenden Menschenführung.

Interessant sind wirklich die Spielerporträts, weil sie (die Spieler) fußballspezifisch sehr gut charakterisieren. Und, viele Positionen können neu bewertet werden. Zu Neven Subotic heißt es z. B. >>Zwar agiert Subotic im ganz klassischen, tiefen Verteidigen nicht immer so überragend, wie man anhand des Spielertyps meinen könnte. Durch seine Disziplin, Aufmerksamkeit und seine gute Körperkontrolle hat er jedoch eine sehr hohe Reichweite innerhalb des Strafraums. << Es sind quasi Zeugnisse der Spieler.

Mats Hummels, auch er wird beschrieben, und Klopp machte ihn quasi zu dem (National-)Spieler, der er wurde: „Beispielsweise ist er unheimlich erfolgsstabil darin, mit dem Ball ins Mittelfeld vorzustoßen. Im Passspiel kann kann Hummels durch seine Außenristpässe mehr Winkel bedienen als andere Spieler und ist dadurch vielseitiger und überraschender.“ Wohlgemerkt sind das nur Auszüge, denn die Porträts gehen oft über 100 Zeilen!

Die Spielerporträts können auch angehende Juniorenspieler Mut machen, bzw. die Trainer aufklären, ihre Spieler auch wieder neu zu analysieren, denn oft werden Spieler auch – unbewusst- falsch eingesetzt oder positioniert.

Zu Marcel Schmelzer bleibt zu sagen, dass „sowohl die Stärken als auch die Schwächen“ seien für einen modernen Außenverteidiger bei ihm sehr „untypisch“ und würden ihn auch zum Prototypen einer vielleicht noch moderneren Außenverteidiger-Rolle machen: Schmelzer sei ggf. als Pressingverteidiger zu sehen. Schmelzer, so wird auch seit Jahren gesagt, würde jede Mannschaft besser machen, sei aber zugleich auch ihr Schwachpunkt. Ihr Schwachpunkt? Ja, denn Schmelzer sei nicht unbedingt ein guter Einzelspieler, sein Niveau sei technisch nicht besonders gut, und für seine Position etwas unbeweglich. Als Mannschaftsspieler jedoch, überragt der gebürtige Magdeburger!

So ist Schmelzer also dennoch als zuverlässiger Stabilitätsfaktor im Team zu sehen. Taktisch gesehen, belauert er Passmöglichkeiten. Er verschließt Räume recht schnell, und „stellt“ die Gegner. Beim Verteidigen bei zentralen Angriffen ist Schmelzer sehr zuverlässig und geschickt darin, Pässen durch die innere Schnittstelle zu verteidigen.

In der Offensive gelte er aber fast als Anti-Talent, auch wenn er sich unter Thomas Tuchel gar verbessert habe. Schmelzers Porträt geht übrigens über zwei Seiten im Buch. Hoch interessant!

Dazwischen kommen die Meisterschaftsgewinne der Borussia mit Jürgen Klopp und immer wieder der Zweikampf gegen die Bayern – das ja auch im Champions-League-Finale mündete (Finale 2013, 1-2 in einem engen Finale gegen die Bayern von Jupp Heynckes. Extra Kapitel!). Taktische Varianten der Balleroberung, wichtig bei jedem Spiel, das dem Vollgasfußball nahe kommen möchte, werden gut bildlich aufbereitet.

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Auch Ilkay Gündogan wird thematisiert, und neben seiner feinen Ballbeherrschung, sticht besonders sein „großes taktisches Geschick“ hervor – was ihn dann wohl auch für Guardiola und ManCity begehrt machte. Gündogan kann unterschiedliche Positionen und Rollen spielen.

Zuletzt auch noch eine Beschreibung des, nicht immer einfachen, Spielers Kevin Großkreutz (jetzt beim VfB Stuttgart, und auch da eine wichtige Integrationsfigur). Es heißt gar vom Autor des Buches, „es wäre nicht vernünftig ein Buch über Jürgen Klopp zu schreiben, ohne sich ausführlich der Personalie Kevin Großkreutz zu widmen.“

Dieses Porträt beschreibt zugleich alle Leidenschaften und Emotionen, aber auch Höhen wie Tiefen des Fußballs. Großkreutz, so heißt es weiter, und Fußballdeutschland nahm immer Anteil an den Emotionen, war nicht immer gesetzt, und dennoch stets im Meisterkader von Jürgen Klopp. Wie wichtig war nun Kevin Großkreutz für die Titel der Borussia?

Unter keinem anderen Trainer wie Klopp, hätte ein Großkreutz wohl all diese Erfolge erreicht. Großkreutz habe sein höchstes Niveau erreicht unter Klopp.

Er spielte fast alle Spiele in den zwei Meistersaisons und gar eine entscheidende Rolle im knappen Champions-League-Finale, zudem war er 2014 im Weltmeisterkader der deutschen Nationalmannschaft, so wird im Buch erinnert.

Das hat alles erreicht, der als Anti-Fußballer verschrien wurde. Großkreutz‘ augenfälligste Qualität war, wie er sich mit dem Verein identifizierte und welchen „unbändigen Willen er an den Tag legte.“ Technische Mängel, ein staksiger, unagiler Laufstil, seine limitierte Rhetorik, für all das wurde er nie richtig respektiert – aber von den Fans dennoch geliebt, weil Großkreutz(bis heute) alles gibt! Auch diese Charakterisierung geht über zwei Seiten, denn Kevin Großkreutz war ein „Schlüsselspieler“. Hier nur ein paar herausragende Punkte seiner Spielweise, und warum Jürgen Klopp ihn stets schätzte (vielleicht auch, weil Kevin dem früheren Spieler Klopp ähnelte?): Großkreutz konnte stets antizipieren, Spielzüge und Strukturen schnell erkennen und erfassen; Großkreutz sorgte mit seinem guten Timing immer wieder für Gefahr im gegnerischen Strafraum; Seine Läufe in das Zentrum waren hervorragend, er bindet Gegenspieler in den richtigen Momenten, was Raum und Dynamik für Aktionen der „eigenen Mitspieler“ schafft. Zudem, er ist stark im Gegenpressing! (Seite 128 im Buch).

 Zum Abschluss, Jürgen Klopp blieb seiner Spielphilosophie bisher immer treu, bei Dortmund wie in Liverpool.

Auch nach seiner ersten Saison in Dortmund gab er immer noch keine Zielsetzung aus, stattdessen versprach Klopp dem Anhang und Club, „eine Mannschaft, die total engagiert ist, die vom ersten Tag alles raushaut und die in der Lage ist, an bestimmten Tagen jeden Gegner zu schlagen.“

Veröffentlicht von

Giovanni Deriu

Jahrgang 1971, Vater, 2 Kinder, lebte lange Zeit in Asien; Dipl. Sozialpädagoge (FH) für Jugend- und Erwachsenenbildung, sowie Biographie-Arbeit. Außerdem: Industriekaufmann und gelernter Journalist. Schreibt regelmäßig für das RUND Magazin und FussballEuropa.com Fünf Jahre als Juniorentrainer tätig gewesen mit Jugendtrainer-Lizenz. In Hongkong die Junioren einer internationalen Soccer-Academy trainiert. Weiterhin als Scout (für Spiele und Spieler) unterwegs. Deriu analysiert für Spieler und Eltern die Spielerberater (und Agenturen), erstellt Profile und gibt Einschätzungen.

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