Der moderne Fußball von heute baut auf die Kenntnisse Ernst Happels auf: Sein Vermächtnis hier im Blog – sportlich wie menschlich toll beschrieben!

Der grantige und längst verstorbene „große“ Ernst Happel (geboren 1925 in Wien, gestorben am 14. November 1992 in Innsbruck), der in Hamburg immer Kult bleiben wird, vielleicht gerade in diesen Jahren der Krise, hat den Fußball nicht nur beim HSV einst geprägt – nicht nur mit dem Gewinn des Landesmeister-Cups(heutige Champions-League) gegen Juventus Turin 1983 – sondern den Grundstein einer modernen Spielweise überhaupt gelegt. Man erinnere nur an 1978, wo Ernst Happel als „Aushilfscoach“ die niederländische Nationalelf in Argentinien betreute und Vizeweltmeister wurde. Gegen Argentinien verloren die Holländer spektakulär, so, wie sie auch spielten. Immer wieder ein Genuss ist auch, in Happels Biographie (2 Bände, bei Orac erschienen, Autor: Heinz Prüller), einem Fundus an Weisheiten, zu blättern. Hier möchten wir Teile seines Vermächtnis‘, und seiner Scouting-Regeln (!die 18 Gebote!) näher bringen. Alles aktueller denn je, bis zum letzten Atemzug quasi (Happel war schwer krank), betreute er noch die österreichische Nationalelf.

Schwer gezeichnet von seinem Krebsleiden, notierte er folgende Weisheiten und Einsichten während einer Therapie 1992 in der Innsbrucker Uni-Klinik. Der Fußball war immer sein bester Freund und Zeitvertreib. Von Hand schrieb er sein Vermächtnis an seine Spieler nieder:

Vergleich Europameisterschaft 1988 – 1992

1988 hatte die EM höheres Niveau. Man redete vom „Fußball 2000“. darüber kann ich nur lachen – diesen Fußball hab ich schon vor 20 Jahren mit Feyenoord (Rotterdam) gespielt. (Einwurf der Redaktion: Happel war immer direkt, offen und auch schrullig, er benannte, was zu benennen war.)

1992 sind ein paar Hausherren gestorben: Holland – Deutschland – Frankreich – Schweden. (Wir erinnern uns, Außenseiter und Nachrücker Dänemark schlug Deutschland im Finale)

Jede Mannschaft ist in einem bestimmten Moment zu schlagen. Aber wie? Keine Hochachtung vor dem Gegner. Frechen, aggressiven, offensiven Fußball spielen, Verantwortung nehmen. Gemischt variiert aus der Defensive, aber weg vom Strafraum, den Gegner bei der Mittellinie angreifen, gleich attackieren.

Abwechselnd mit Forechecking in der anderen Hälfte totale Offensive.

Mit dieser Manier hab ich mehr Erfolg, als wenn ich rausgeh, und auf Abwarten spiele. Wie ein Angsthase, so brauchen wir kein Spiel beginnen. Ob ein internes Freundschaftsspiel oder ein Qualifikationsspiel auf meine Verantwortung.

Es geht um die richtige Einstellung. Ich muss mit Herz zur Sache gehen. Bei Ballbesitz Fußball spielen, ruhig aber mit Biss. Bei Ballverlust danach trachten, den Ball so schnell wie möglich zurück zu erobern. Diese Punkte sind notwendig, um Erfolg zu haben.

Europameisterschaft 1992:

Einsatz – kämpferisch – Verbissenheit – lauffreudig – hohe Aktivität.

Diese Punkte fehlen uns Woche für Woche. Solange wir diese Punkte nicht ins Spiel bringen, haben wir international keine Chance (direkt an die Nationalspieler und Trainer Österreichs).

(…)

Wer diese Punkte nicht ins Spiel bringen kann, soll es mir sagen, unter vier Augen, dann scheidet er aus. Muss eben ein anderer spielen, der diese Punkte mitbringt. Ohne Ausnahmen. Auf Namen nehme ich keine Rücksicht.

Das ist der Weg um Erfolg zu haben, einen anderen Weg gibt es nicht. Dann liegt mir etwas anderes am Herzen und macht mir Kummer für die Zukunft:

Reklamieren und Meckern und wegwerfende Handbewegungen gegen Schiedsrichter und Linienrichter.

(direkt und eindeutig reflektiert und benannt! Auch ein guter Leitfaden für alle Amateur- und Juniorentrainer)

Ernst Happel wirkte oft grantig und barsch, aber alle, die mit ihm arbeiteten sprachen stets von seiner Tiefe und Ehrlichkeit, und seinem Wiener Schmäh!

Hier auch noch die 18 Gebote Happels, er hatte die EM 92 „röntgenisiert“, wie er Prüller berichtete.

18 Gebote der Spiel(er)-Beobachtung:

  1. Das System, Erste Hälfte, zweite Hälfte. Wer ist der Gegner?Heim- oder Auswärtsspiel?

2. Die Spielart: Kampfstark, technisch oder hart? Engmaschig oder weiträumig? Schnell oder langsam? Viele Situationen oder Longpassspiel?

3. Welche Angriffsart: kommt er offen, über die Flügel oder durch die Mitte?

4. Spiel am Ball: Also in verschiedenen Positionen. Wie bei Ballverlust? Wie ohne Ball?

5. Angriffsspieler: welche sind das?

6. Welche Spieler bevorzugen welche Mittel? Dribbling, Flanken, Torschuss, zweite Reihe?

7. Tatsächliche Aufstellung: Spielpositionen (sind ja numeriert) – wer ist Libero (gab es vor 20 Jahren noch, den letzten Mann hinter der Abwehr),wer der defensive, wer der offensive Mann im Mittelfeld, zentrale Spitzen, spezifischer Rechts- oder Linksaußen? Gibt es einen Spielmacher? (…)

8. Der Gegner im Mittelfeld, und Sturmspitzen zurück: Welche Mittelfeldspieler gehen zurück, welche Sturmspitzen?

9. Wie funktioniert der Wechsel vom Angriff auf Abwehr? Welche Spieler wechseln die Positionen?

10. Die Deckungen im Mittelfeld?

11. Deckungsart der Verteidigung, oft sehr unterschiedlich zwischen den Mannschaften. (…)

12. Wie spielt der Libero? wa sehr wichtig ist, hängt er auf einer Linie mit den Abwehrspielern? Dahinter oder davor (wäre dann ja der modern gewordene Sechser).  Ajax und das holländische Team spielen manchmal mit dem Libero vor der Abwehr.

13. Welche Abwehrspieler gehen in die Offensive?

14. Besonderheiten bei Standardsituationen?

15. Spielt der Tormann mit?

16. Wer ist Dirigent des Spiels?

17. Welche Spieler spielen UNFAIR? (genauso geschrieben)

18. Pressing oder Nicht-Pressing?

 

Ernst Happel war Vorbild etlicher Trainer, besonders für seinen Spiel- und Trainingsstil. Auch Sacchi, Rangnick und viele andere hospitierten oder beobachteten gern beim HSV oder später in Innsbruck, oder studierten viel Videomaterial…

 

Veröffentlicht von

Giovanni Deriu

Jahrgang 1971, Vater, 2 Kinder, lebte lange Zeit in Asien; Dipl. Sozialpädagoge (FH) für Jugend- und Erwachsenenbildung, sowie Biographie-Arbeit. Außerdem: Industriekaufmann und gelernter Journalist. Schreibt regelmäßig für das RUND Magazin und FussballEuropa.com Fünf Jahre als Juniorentrainer tätig gewesen mit Jugendtrainer-Lizenz. In Hongkong die Junioren einer internationalen Soccer-Academy trainiert. Weiterhin als Scout (für Spiele und Spieler) unterwegs. Deriu analysiert für Spieler und Eltern die Spielerberater (und Agenturen), erstellt Profile und gibt Einschätzungen.

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