Eine goldene Generation steht wieder mit leeren Händen da: die Tragödie Kroatiens bei der EM 2016

Alle Experten waren sich einig, und wieder einmal täuschten sich alle in der kroatischen Nationalelf. Zu stark und technisch ausgeglichen starteten die Kroaten in diese Europameisterschaft, siegten mit Ballzauber und Leidenschaft gar über Spanien, und am Ende reichte es dennoch nicht. Wie ein Stich ins Herz traf die Kroaten das Tor Quaresmas in der 117. Minute der Verlängerung für Portugal. 0:1. Aus der Traum, der schlichtweg im Erreichen des Finals in Paris enden sollte. Was bleibt übrig? Viel Lob, und das halbe Europa an Topclubs steht bei den Kroaten Schlange.

Trainer Ante Cacic stand nach dem verlorenen Achtelfinalmatch gegen Portugal noch einige Minuten regungslos da. Die kroatische Fanszene im bekannten weißroten Schachmuster zollte wohl höflichen Applaus, aber mehr auch nicht – während das Team mit den Tränen kämpfte. Cacic wusste, dass er der heimischen Presse Rede und Antwort stehen musste. Warum habe das Team nicht mehr so elanvoll an die Leistung wie gegen Spanien anknüpfen können, weshalb haben seine Kroaten gegen Portugal kein Konzept gehabt, um das portugiesische Bollwerk im Mittelfeld wie in der Abwehr auszuspielen? Aber eine Frage interessierte auch die internationale Presse und einige Beobachter: Warum nur brachte Coach Cacic das Sturmtalent von Dinamo Zagreb, Marko Pjaca, so spät ins Spiel? Kaum war Pjaca für den „narkotisiert“ wirkenden Rakitic (Zitat in der Gazzetta dello Sport) im Match, machte Marko Pjaca über rechts auch schon viel Wind, die Portugiesen hatten ihre Probleme mit dem umtriebigen Wirbler. Immerhin kam Perisic zu seinem Kopfball an den Pfosten. Der Rest ist bekannt.

Abermals konnte ein Trainer das geballte Talent im kroatischen Kader nicht bündeln, und zur Höchstform über einen längeren Turnierzeitraum steuern.

Früher war es Jugoslawien, aber heute noch meinen Experten wie Fußballromantiker, die Kroaten (und auch Serben) seien die Balkanbrasilianer. Kroatische Talente und Spieler sind jedenfalls gefragt:

nur sechs Spieler aus dem Kader, darunter Marko Pjaca, spielen in der heimischen Liga. Ansonsten spielen die Kroaten verteilt in ganz Europa,

Mario Mandzukic und Nikola Kalinic in Italien bei Juventus und Florenz, sowie Marcelo Brozovic bei Inter Mailand wie auch Perisic, und selbst Sassuolo hat mit Sime Vrsaljko eine kroatisch Kraft. Luka Modric und Mateo Kovacic bei Real Madrid, Ivan Raktic bei Barcelona, Andrej Kramaric spielt für die TSG 1899 Hoffenheim, ausgeliehen von Leicester. Aber selbst in Russland und auch in der Ukraine sind Kroaten Leistungsträger gegen Bares. Und, wohl gemerkt nicht nur Nationalspieler, in Italien, Spanien und Russland verstärken noch weit mehr kroatische Spieler die Teams, bis in die dritte Ligen.

Jedenfalls beginnt jetzt wieder der Ausverkauf, denn bei Flügelflitzer Marko Pjaca stehen die Einkäufer bereits Schlange. Pjaca war bereits bei Bologna im Gespräch, aber Pantaleo Corvino, ein einflussreicher Funktionär, wird ihn versuchen, nach Florenz zu lotsen – dort wird Corvino Sportlicher Direktor.

Aber Pjaca hat auch die Begehrlichkeiten der Clubs wie  AC Mailand (wo auch immer mehr reiche Chinesen das Sagen haben) sowie Inter geweckt, Juventus versucht seine Anwerbeversuche noch hintenrum. Aber auch aus Spanien klopfen Atletico Madrid und der FC Barcelona an. Aus der Premier League bekundete Klopps FC Liverpool Interesse.

Sein Agent Marko Naletilic gibt sich bedeckt: „Klar, dass nun alle Topclubs aus Europa an ihm dran sind. Wir schauen gemeinsam, wo er sich am besten entwickeln kann…“

Und es zeigt einmal mehr, dass die Fußball-Akademien von Dinamo Zagreb aber auch von Hejduk Split seit Jahren in Europa gute Nachwuchsarbeit leisten, und das Geld aus dem Ausland zielgerichtet in gute Nachwuchsarbeit, und damit auch in gute Trainer, investieren. (hierzu auch ein Extra-Artikel im Blog zu den besten Akademien in Europa)

Schade nur, dass Topclubs davon mehr profitieren als die kroatische Nationalelf. Bis zu einem großen Gewinn bei einer EM oder gar WM wird es noch ein Weilchen dauern. Pjaca wird der Leitwolf der Zukunft. Sein Wert wird momentan auf 25 Millionen Euro beziffert. Nicht schlecht für einen 21-jährigen. Pjaca kann rechts wie links spielen, und Spiele entscheiden – wenn er nicht „auf der Bank vergessen wird“, wie Kritiker dem Nationaltrainer Cacic vorhalten…

Giovanni Deriu

 

Veröffentlicht von

Giovanni Deriu

Jahrgang 1971, Vater, 2 Kinder, lebte lange Zeit in Asien; Dipl. Sozialpädagoge (FH) für Jugend- und Erwachsenenbildung, sowie Biographie-Arbeit. Außerdem: Industriekaufmann und gelernter Journalist. Schreibt regelmäßig für das RUND Magazin und FussballEuropa.com Fünf Jahre als Juniorentrainer tätig gewesen mit Jugendtrainer-Lizenz. In Hongkong die Junioren einer internationalen Soccer-Academy trainiert. Weiterhin als Scout (für Spiele und Spieler) unterwegs. Deriu analysiert für Spieler und Eltern die Spielerberater (und Agenturen), erstellt Profile und gibt Einschätzungen.

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