Nur knapp und mit einer attraktiven Spielweise verlor der SSC Neapel bei Manchester City mit 1:2. Bereits vor dem Match in der Champions-League-Gruppenphase hatte Pep Guardiola den SSC Neapel von Maurizio Sarri in den höchsten Tönen gelobt, wie gern er doch diesem Team daheim am Fernseher zuschaue, und dessen System studiere. Pep Guardiolas Worte gelten in der Branche stets als „Ritterschlag und Adelung“ zugleich. Dabei hat der gelernte Bankkaufmann und Ökonom Sarri eine ganz eigene Spielweise für den SSC Neapel kreiert. Diese muss sich gar nicht mit Guardiolas einstigem „Tiki-Taka“-Fußball vergleichen. Maurizio Sarri war einst ein, wie er selbst bekundet, „rustikaler Abwehrspieler“, und trainierte Amateurclubs, während er für die Banca „Monte di Paschi“ in Siena, europaweit unterwegs ist und die Filialen besucht und prüft. Seine freie Zeit verbringt der kettenrauchende Trainer, klar, mit Fußball. Bevor Sarri, der gebürtige Neapolitaner beim SSC anheuerte, musste erst Legende Diego Maradona sein Okay geben. Heute ist der SSC dank Sarri wieder eine europäische Größe und führt die heimische Serie-A an.
Ein wenig schrullig kommt der gelernte Ökonom und Fußballlehrer schon rüber: 58 Jahre alt, mit allen Wassern der Banken- und Fußballwelt gewaschen, Kettenraucher wie einst Ernst Happel und die tschechisch-italienische Legende, Zdenek Zeman, und noch etwas, Maurizio Sarri fliegt ungern. Flugzeug, wohlgemerkt. Wann immer es geht, fährt Sarri innerhalb Italiens mit dem Zug oder gar im Auto nach. Bei weiteren Reisen nimmt er dann doch ziemlich nah an der Exit-Tür und Notrutsche im Flieger Platz.
Dieser Mann, der lang in der Toskana für eine populäre italienische Bank, weit vor der Finanzkrise, arbeitete, hat auch den toskanischen Dialekt angenommen, wonach das eher harte „ch“ (eigentlich K gesprochen) wirklich wie ein deutsches „C-H“ oder „H“ gehaucht wird (Statt Coca-Cola eben Chocha-Chola). Darüber schmunzeln immer noch viele, und Sarri wird gern parodiert.
Im Fußball jedoch wird Sarri bereits durch die neue SSC-Spielweise mit Arrigo Sacchi verglichen. Denn, Sarri ist ebenfalls ein Trainer, der nie selbst weit oben im Profibereich spielte – das war bei Arrigo Sacchi genauso. Aber, Sarri ließ am Fuße des Vesuvs etwas „wachsen“. Gut Ding will eben Weile haben, und der Präsident und Mäzen, Aurelio de Laurentiis, hielt zu Sarri, auch als der Start vor dreieinhalb Jahren eher etwas holprig verlief. Gerade einmal einen Punkt aus drei Spielen. Mythos Diego Maradona, sein Wort hat als Neapels Ehrenbürger immer noch Gewicht, maulte bereits – aber Sarri antwortete nonchalant: „Egal was Maradona sagt – er ist und bleibt mein Idol.“ Diego war plötzlich still und gab sein Okay, „bitte weiter machen Maurizio Sarri“.
Bevor der ehemalige Banker beim SSC Neapel landete, verbrachte Sarri gut drei Jahre beim FC Empoli, einer italienischen Fahrstuhlmannschaft mit mehr oder minder finanziellen Engpässen. Wie dem auch sei, weißer Rauch stieg zwei Mal auf: Sarri konsolidierte das Team und quasi auch den Club, und führte ihn von den Abstiegsrängen der Serie B in die Aufstiegs-Play-Offs, wo Empoli aber scheiterte. Ein Jahr später jedoch stieg das Team mit Sarri in die Serie A auf, und das mit einer höchst attraktiven Spielweise, die auf Pressing nach Ballverlust und vielen Ballkontakten ausgelegt war. Die junge Mannschaft hatte dazu gelernt. Viel wichtiger, Sarri etablierte den FC Empoli in der Serie A.
Es sei erwähnt, dass Maurizio Sarri weit davor auch schon Erfolge und Aufstiege in den Niederungen des Amateurfußballs gefeiert hatte. So trainierte und brachte Sarri den AC Sansovino (wo leckerer Wein angebaut wird) von der Verbandsliga hinauf in die 3. Liga, der Serie C2. Die AC Sangiovannese rettete er unter anderem vor dem Abstieg, und etablierte den Club in der 3. Liga, der Klassenerhalt war geschafft. Einen Spitznamen „Mister 33“ erhielt er besonders als Coach der unteren Ligen, weil er seinen Teams angeblich 33 Tricks und Standardsituationen einbleute. Etliche Tore fielen auch so. Was soll’s? „Legitime Mittel“, um zu siegen, so Sarri.
Später hatte Sarri auch ein Intermezzo bei Hellas Verona, und obwohl Sarri sich dort nicht so erfolgreich entfalten konnte, war der Club dennoch eine Plattform, um auf sich aufmerksam zu machen. Sarri ist und bleibt ein „Freigeist“ – Vorgaben und Fesseln mag der schrullige Coach gar nicht. Diese möchte er auch seinen Teams nie auferlegen. „Vorgaben“ sind eher Festlegungen der Spieler selbst – Sarri lässt die engsten Leistungsträger mitbestimmen, klar, am Ende trägt dennoch der stille Raucher die Verantwortung.
Sarri, der sich nach eigenen Angaben, bis zu „16 Stunden am Tag“ mit Fußball beschäftigt, wird als detailversessener akribischer Arbeiter beschrieben, der aber dennoch das Leben genießen kann.
http://rund-magazin.de/news/1619/76/Portraet-Sarri/
So flaniert Sarri gern entlang am Hafen und genießt schon mal Meeresfrüchte und seine Pizza Margherita. Hauchdünn bitte. Deftiger und gut organisiert stellt Sarri seine Abwehrreihe auf, eine Defensive kann man sich selbst aufbauen, denn diese sei „schwer einzukaufen“.
Sarri kann auch mit Stars, so hat Sarri Gonzalo Higuain einst in Neapel zu 36 Toren pro Saison „getrieben“, in dem er zum Argentinier meinte: „Überdenke Dein Leben, wie Du trainierst, Du hast so viel Talent, aber wirst es nie weit bringen…“. Higuain dankt ihm die ehrlichen Worte noch heute. Lorenzo Insigne und Marek Hamsik, beide bereits Idole in Napoli, lassen nichts über Sarri kommen. Seine knurrige Art kommt an, wegen seiner Sachlichkeit und Detailliebe. Was Sarri vorhersage, träte auch ein, sind sich die Spieler unisono.
Mister Sarri verstand es zudem, nach Higuain auch Dries Mertens und Callojon noch stärker aufzubauen und in die Pflicht zu nehmen, das Kollektiv zählt. Beide arbeiten auch nach hinten, bis der nächste Mitspieler die „Zone“ übernimmt. Hinten präferiert Sarri die Viererkette.
Dass jeder mit dem Ball ohne Fehler umgehen muss, versteht sich von selbst – die Kondition für das laufintensive Spiel auf den ersten 20-30 Metern, trainiert sich das Team im Sommer an, während der Saison hält man die Kondition mit Ballarbeit und taktischen Verschiebungen.
Pep Guardiola lobte Sarri, und der SSC-Coach spielte den Ball gestern nach dem 1:2 zurück: „Momentan ist City spielerisch das beste Team in Europa“.
Auf dem Rückflug aus England dürfte der Coach dennoch ein bisschen zufrieden gewesen sein, City lang beschäftigt zu haben, und in der Serie A ist Sarris Team noch ungeschlagen, vielleicht griff Maurizio Sarri im Flugzeug gegen die Flugangst auch zu einem Buch von Charles Bukowski, Fante oder Vargas Llosa – allesamt seine Lieblingsautoren, die wie Sarri das Meer lieben…
Nachtrag: Vor dem Gipfeltreffen am vergangenen Samstag zwischen dem SSC Neapel von Sarri gegen das Team von Luciano Spalletti (vormals Roma) INTER Mailand, meinte Spalletti selbst voller Hochachtung für Sarri: „Wäre Sarri in der Bankenwelt geblieben, hätte er es sicher noch zu einem Minister der Finanzen gebracht…“ – das Spiel in Neapel endete 0:0, und war dennoch ein höchst interessantes Match. Wobei Neapel etliche Chancen hatte, die Keeper Handanovic aber zunichte machte. Spallettis Team beschränkte sich fast 60 Minuten aufs Verteidigen mit einer Fünfer-Kette. Die Medien sprachen gar von neuem „Catenaccio“. Sarri wurde abends dann von Reportern gefragt, wenn er auch hätte ein Minister der Finanzen werden können, welcher Minister sei dann Spalletti? Sarri lächelte tief, schob seine Brille auf der Nase zurecht, und meinte trocken: „… ein Minister der Defensive!“
Giovanni Deriu, 46, RUND-Autor und Sozialpädagoge, beobachtet seit Jahren den italienischen Fußball und beschreibt Biografien.