SPANIEN
4:3:3 statt Defensive
Wie Real Madrid Mourinhos Ära vergessen möchte: Die italienische „Gazzetta dello Sport“ macht sich Gedanken, was Carlo Ancelotti für die „Ent-Mou-isierung“ Reals tun könnte. Von Giovanni Deriu. Erschienen bei rund-magazin.de
José Mourinhos Erfolgsbilanz war für seine Ansprüche zu wenig: Eine Meisterschaft, ein Pokalsieg und dreimal im Halbfinale der Champions-League gescheitert. Auf den selbst ernannten „The Special One“ folgt nun der ausgleichende Moderator und Taktiker, Carlo Ancelotti, der zuletzt Paris Saint-Germain zum französischen Meister gemacht hatte.Die italienische „Gazzetta dello Sport“ macht sich Gedanken, was Carlo Ancelotti für die „Ent-Mou-isierung“ Reals tun könnte
1. Klare Strukturen und Hierarchien zwischen Klub und Trainer Jeder hat seine Aufgaben im Club, und jeder soll das tun, was er am besten kann, so denkt und handelt Carlo Ancelotti seit Jahren. „Ich bin kein Manager, ich kümmere mich nur um die Belange auf dem Sportplatz“, ist Ancelottis Devise. Nebenkriegsschauplätze, wie die von Mourinho gegen Teammanager Jorge Valdano (die Mourinho auch noch gewann), sind Ancelotti total fremd.
2. Dialoge mit den Spielern
Ein Trainer muss kein Diktator sein – so sahen einige Medienvertreter und Vereinsfunktionäre Mourinho in seiner Endzeitstimmung bei Real. Keiner traute mehr dem anderen, schon gar nicht Mourinho zu widersprechen. Ganz anders Ancelotti, der pflegt das offene Wort mit den Spielern, Einzelgespräche sind und waren ihm immer wichtig.
3. Mehr Respekt der Presse entgegenbringen
Viele Male schickte Mourinho seinen Assistenten zur Pressekonferenz, wenn er, The Special One, mal wieder angefressen war und Verschwörungen witterte. Wie oft verärgerte „Mou“ damit Präsident Perez? Unzählige Male. Nicht mit Ancelotti: Der sieht die Medienvertreter nicht als Feinde sondern als Fachleute auf ihrem Gebiet. „Ich respektiere die Arbeit anderer …“, sagt Ancelotti.
4. Sorge für eine ausgeglichene und offensive Mannschaft
„Natürlich muss man gewinnen, aber dann bitte auf einer ansprechenden und dominanten Weise …“, ein Unterschied zum Gegner sollte sichtbar sein, ist Ancelottis Philosophie. Diese Denkweise übernahm Ancelotti von seinem früheren Coach Arrigo Sacchi: Calcio totale, Voetball total, entweder mit einem 4-2-3-1 oder ganz mutig mit einem 4-3-3-System. Gar nicht erst die Angriffe des Gegners abwarten, sondern von Beginn an Initiative ergreifen, um den Gegner zu ermüden. Also anders als bei Mourinho, der Stunden damit verbrachte, die Defensive zu stärken.
5. Alle sind wichtig, kein Spieler steht über den anderen
Deshalb fragte Ancelotti Reals Präsidenten Florentino Perez auch nicht nach „Wunschspielern“, Männer zu seiner Gunst, denen nur er vertrauen kann. Ancelotti vertraut dem Kader. Mourinho dagegen infiltrierte das Team mit Coentrao, di Maria und anderen aus seinem „Anhang“.
6. Nie wieder einen „Fall Casillas“ aufkommen lassen
In keinem der bisher von Carlo Ancelotti trainierten Teams gab es bisher einen auch nur annähernden Fall, wie der Zwist von Mourinho und Casillas. Nie habe Ancelotti bisher einem Spieler die Tür gezeigt. Aber, Ancelotti wird mit Casillas auch sprechen, um dessen Ziele und seinen Ehrgeiz für neue Projekte auszuloten – wie auch immer, Saint Germains-Meistermacher wird Casillas mit einbinden.
7. Die Garantie Zinédine Zidane
Mourinho hatte für eine „geschlossene Gesellschaft“ des Teams innerhalb des Vereins gesorgt. Eine reine Misstrauenskultur, warum auch immer Mou diesen Weg einschlug. Alle antworteten nur dem portugiesischen Herrscher. Ancelotti signalisierte gleich an Real, ich öffne die Türen wieder, seht her, ich installiere euren Heroen, das Idol, Zinédine Zidane als meinen Assistenten. Zizou wird vom Präsidenten sehr gern gehört – Zidane das Bindeglied zwischen Team und Vorstandschaft. Gleichzeitig Ancelottis Garantie, keine hinterlistigen Angriffe aus der Chefetage.
8. Mehr Ballarbeit statt Muskelaufbau
„Carletto“ vertraut bei der Saisonvorbereitung seit Jahren ganz der Arbeit seines Staff-Assistenten, Giovanni Mauri. Kondition und Fitness sind übers Jahr die wichtigsten Begleiter seiner Teams, so Ancelotti, aber bitte immer mit dem Ball im Training. Ballarbeit wird ganz groß geschrieben, auch mit dem Ball am Fuß kann man sich Kraft und Kondition in angemessener Weise aneignen. Gerätetraining wird äußerst selten auf dem Programm stehen. Wichtig sei die Schnelligkeit im Spiel, und um schnell zu sein brauche man nicht Kilos von Muskeln, ist der italienische Erfolgstrainer überzeugt.
9. Spaß und Freunde in der Kabine
Mourinhos Kur stresste die Spieler. Überall nur lange Gesichter in der vergangenen Saison. Bei Ancelotti soll in der Kabine wieder gesungen oder Musik gehört werden. Und wenn es sein muss, lässt Carlo Ancelotti auch mal das Training ausfallen, und setzt auf Gruppendynamik und Annäherungen durch Picknicks, Ausflüge oder einfach nur mal auf einen Ruhetag zwischendrin.
10. Gemeinsame Restaurantbesuche die Regel
War das Training bei Mourinho zu Ende, ging jeder seines Weges. Nicht mit Ancelotti. Der legte schon bei etlichen Clubs das gemeinsame Ausgehen und Essen im Restaurant fest. Beim Essen, so schlussfolgert der Italiener, komme man sich näher, lerne sich untereinander besser kennen – und, man redet nicht immer nur über Fußball.
Giovanni Deriu, 43, Redakteur und freiberuflicher Scout, analysiert Biografien und kennt einige Akteure.