FUNKTIONÄR
„Meinen Skalp hat keiner am Gürtel“
Ein erzkonservativer Politiker, der als Fußballfunktionär gleichwohl die Moderne einläutete: Am 3. März feierte Gerhard Mayer-Vorfelder, einst Präsident des DFB und des VfB Stuttgart, seinen 80. Geburtstag. Von Giovanni Deriu.
Ehemaliger Präsident des DFB und des VFB Stuttgart: Gerhard Mayer-Vorfelder.
Wer im Schwabenländle groß geworden ist, und zur 1970er Generation gehört, den hat Gerhard Mayer-Vorfelder nachhaltig geprägt. „MV“ war in den vergangenen 30 Jahren zwischen der allabendllichen „Tagesschau“ und Sportsendungen ebenso präsent, wie Helmut Kohl, Franz Beckenbauer oder Boris Becker.
Als Schüler war unsereiner froh, als Gerhard Mayer-Vorfelder in Personalunion als Kultusminister Baden-Württembergs und VfB-Präsident, die Mengenlehre abschaffte. MV selbst erzählte das Bonmot, als er einst eine Schule besuchte, und danach zwei Buben im Gespräch belauschte. Meinte der Eine, man, der Kultusminister ist ja echt nett. Darauf der andere, nein, das war doch der VfB-Präsident, denn der Kultusminister sei doch ein „Granatensäckel“ (schwäbisches Schimpfwort).
Aber ob in Politik oder im Fußballsport, MV – böse wie bewundernde Zungen nannten ihn auch „MV Vorderlader“, Mayer-Vorfelder polarisierte während seiner gesamten Laufbahn. Komischerweise lebte er förmlich auf, wenn es um Diskussionen, Intrigen und Fehden, auch mit den Bayern, ging. Zu Gute halten ihm aber auch die eifrigsten Gegner, die sich einst am Einser-Juristen rieben, dass der Gerhard immer fair gewesen sei, und das Streiten auf hohem Niveau liebte.
Ein paar Skandale hat er überlebt, als ihn schon viele als gescheitert sahen, doch wie meinte der ehemalige VfB-Präsident selbst? „Meinen Skalp hat keiner am Gürtel“. Als Vorsitzender des Ligaausschusses, forderte er nach dem blamablen Autritt der Nationalmannschaft bei der EM 2000 Investitionen der Vereine in die Nachwuchsarbeit. Der spätere DFB-Präsident setzte sich durch: Im Sommer 2001 beschloss die Liga, dass jeder Bundesligist ein eigenes Nachwuchs-Leistungszentrum für die Erteilung der Lizenz nachweisen müsse. Schlupflöcher gab es fortan keine mehr und die Profiklubs begannen, eine Menge Geld in ihren Nachwuchs zu investieren. Bis zum Sommer 2011 waren es rund 608 Millionen Euro. Von Spielerberatern, obwohl es ja „Sodde und sodde“ gebe, schwäbelte MV, halte er wirklich wenig.
Nach der Pleite der DFB-Elf bei der EM 2004 in Portugal wollte er die Trainerfrage zur „Chefsache“ nach Völlers Rücktritt machen. Schließlich tagte auf medialen Druck eine Trainerfindungskommission. MV wollte allerdings nicht irgendeinen, sondern den richtigen Trainer. Er flog nach einem Tipp von Berti Vogts im Sommer 2004 inkognito nach New York, um Jürgen Klinsmann zu treffen. Beide Schwaben kamen gut miteinander aus. Obwohl Klinsmann angetreten war, beim DFB den „gesamten Laden auseinander zu nehmen“, durfte MV als einziger Funktionär weiterhin am Tisch der Nationalmannschaft sitzen.
Sehr lange hielt Mayer-Vorfelder an Christoph Daum während der Kokain-Affäre fest, wie viele meinten. Aber „MV“ lässt gute Freunde nicht so schnell hängen. Mit Christoph Daum feierte Mayer-Vorfelder immerhin die zweite Meisterschaft (eine davor mit Trainer Benthaus).
MV war allerdings nicht nur der konservative Hardliner mit CDU-Parteibuch. Das erlebte der Autor dieser Zeilen einst als Reporter eines Radiosenders auf einem Ausflugsschiff auf dem Neckar. Im Gespräch ging es um den VfB, und als ältere Fans und einstige Spieler meinten, „Sag amole Gerd, beim VfB in der Jugend spielen aber schon viele Türken mit …“, da antwortete Mayer-Vorfelder bei seinem geliebten Trollinger, die Krawatte bereits vormittags auf „halb Acht“ gelockert, in etwa so: „Hört mal zu, die Jungs schwätzet schwäbischer als unsere Jungs.“ Ende der Diskussion.
Nun hat der Mann mit Steherqualitäten, der bis in den Morgengrauen sitzen, trinken und diskutieren konnte, aber bereits um acht wieder im Landtag referierte, genug Zeit. Zeit wofür? „Für meine Enkelkinder“. Und da menschelt es eben wieder beim großen „MV“ Vorderlader.