Antonio Conte, selbst ehemaliger Profi und Nationalspieler, führte Juventus Turin zu drei Meisterschaften hintereinander, davor etablierte sich der Italiener bereits als Aufstiegstrainer von Bari und Siena in Italien. Als italienischer Nationaltrainer sorgte Conte für frischen Wind im italienischen Fußballverband, definierte die Squadra Azzurra nach der Pleite bei der WM 2014 neu, und gewann viele Sympathien bei den tifosi zurück. Italien feierte „la Nazionale“, obwohl sie bei der Europameisterschaft im Viertelfinale, nach einer Schlacht, die erst nach Elfmeterschießen gegen Deutschland verloren ging, ohne Titel blieb. Aber man konnte wieder stolz sein auf solch eine Mannschaft, hieß es überall. Und: Die Handschrift Antonio Contes war unverkennbar. Bereits vor der Europameisterschaft stand dessen Abschied fest, der FC Chelsea um Roman Abramovich sicherte sich Contes Dienste. Und ebenso an der Stamford Bridge, dem Stadion im Ortsteil Fulham von London, wo der FC Chelsea zuhause ist, setzte Conte ein Zeichen, und eroberte Fußball-England. Stand heute, ist der FC Chelsea mit Conte auf dem besten Wege, die Premiership zu gewinnen – die Teilnahme an der Champions-League ist schon so gut wie sicher.
Antonio Conte, der 47-jährige Fußballlehrer, hält den Ball flach, seine volle Konzentration gilt seinem Team. Zehn Spiele vor Saisonende, so Conte in einem Interview, „sollten wir auf jeden Fall noch sieben Siege einfahren“, um ganz sicher gehen zu können, dass ihnen den Titel niemand mehr wegnimmt.
Aber wer sollte dem FC Chelsea noch wirklich gefährlich werden? Tottenham Hotspurs gelang zwar vor 14 Tagen ein Sieg gegen Contes Team mit 2:0, die Hinrunde hatten aber die Blues zuhause gewonnen. Der FC Liverpool, Manchester City mit Pep Guardiola, sowie Arsenal London und Manchester United (derzeit gar Sechster) schwächelten ungewohnt.
Conte startete mit seinem Team nach einer harten Saisonvorbereitung zwar gut, nach vier Spieltagen kam der FC Chelsea gegen eher mittelklassige(?) Clubs wie WestHam, Watford, Burnley und Swansea City auf 10 Punkte, und nach dem Unentschieden eben gegen Swansea City setzte es die ersten Niederlagen, ausgerechnet gegen den FC Liverpool daheim mit 1:2 (als Klopp noch in Euphorie schwelgte), sowie in London beim Nachbarschaftsduell gegen Arsenal setzte es ein 0:3. Das war „too much“ für Conte. Von da an hinterfragte der Italiener sein System und seine Taktik. Conte suchte das Gespräch mit seinen Leitungsträgern, analysierte die vorherigen Spiele. Und rückte ab von seinem teils 4:5:1-System. Besonders die Pleiten gegen den FC Liverpool und Arsenal hintereinander ließen ihn grübeln. Danach, in Hull, ließ Conte bereits anders spielen, fast wie mit Juve und mit der Nationalmannschaft gegen Ende seiner Ära, nämlich mit einer Dreier-Achse hinten:
Und von da an, lief es wieder rund, und sein Team spielte so überzeugend und schlagfertig auf, es fielen Tore am Fließband mit diesem 3:4:3-System. Jederzeit konnten die zwei Außenläufer aus dem Mittelfeld hinzukommen, und schon griff Contes 5:3:2, da ein Stürmerkollege nach hinten absicherte. Es war ein Wechselspiel, das beim gegnerischen Angriff aktiv wurde, und genauso beim Gegen-Angriff des eigenen Teams über die schnellen Stürmer.
Etliche Experten in England analysieren Contes System, das schon zu Zeiten von Juve als fast „nicht zu knacken“ schien. Juve war ja einst die erste Saison ungeschlagen, insgesamt setzte es nur zwei Heimniederlagen in drei Jahren.
Der FC Chelsea jedenfalls sorgte mit diesem System für eine Serie, während die anderen Teams einbrachen: 13 Siege in Folge, darunter Spiele mit einer hohen Trefferquote wie gegen Bournemouth (3:0), 3:1 bei Manchester City (Guardiolas Team wurde ausgekontert und früh attackiert, wir berichteten hier im Blog), gegen Everton ein 5:0 und Mourinhos Manchester wurde mit 4:0 wahrlich rasiert.
Die Spielweise ist das eine, aber der FC Chelsea sorgte auch Dank des Teammanagers Conte für Unterhaltung pur. Antonio Conte fiebert und leidet mit wie kaum ein anderer Coach. Er sucht und findet auch die Nähe des Publikums. Das liebt ihn total an der Stamford Bridge. Auch für solche Bilder:
Hier ein Auszug mit Beschreibung zur Taktik 3:4:3, das schnell ein 5:3:2 wird:
Egal, ob Englands Legende Gary Lineker, oder der ehemalige französische Profi, Thierry Henry, der mit Conte gar eine Saison bei Juventus 1999 im Kader stand, jeder spricht Conte auf dessen Emotionen an, wie er sie an der Seitenlinie auslebt.
Antonio Conte erklärt das so: „Wir Trainer und besonders ich stehen während der Saison unter ganz besonderem Druck. Auch während der Woche, wir leben und trainieren von Spiel zu Spiel. Ich schlafe sehr unregelmäßig, denke sehr viel, und bereite alles gewissenhaft vor. Am Spieltag selbst fällt der Druck ab, ich freue mich mit den Spielern und ich leide mit ihnen. Deshalb meine Emotionen, ich war selbst lang genug Spieler, und weiß, wie es ist auf dem Feld…“
Ob Antonio Conte denn auch schon etwas von London gesehen habe, oder verbringe er die ganze Zeit auf dem Clubgelände, fragen die Interviewer. Conte antwortet ruhig und wie selbstverständlich, dass er „so acht oder neun Stunden hier beim Club bin, ich habe hier auch mein Büro.“ Auf die Frage, ironisch, dass er aber noch nicht hier schlafen würde, entgegnet Conte trocken: „Ich habe der Leitung schon gesagt, dass sie ein Klappbett bestellen sollen, dann kann ich hier auch mal übernachten…“, und bei Conte weiß man nun nicht, ob er es nicht doch ernst meint. So ist, und so war er schon immer. Den Fußball als Arbeit und Leidenschaft zu sehen, dem er alles zu verdanken habe, wie Chelseas Coach immer wieder betont.
(Conte im Gespräch mit Thierry Henry
auf dem Clubgelände beim FC Chelsea)
Gianluca Vialli (auch ein ehemaliger Nationalspielerkollege Contes bei Juve), Ranieri, Ancelotti (Double-Gewinner mit Chelsea), oder Roberto Di Matteo (unerwartet Champions League Sieger gegen die Bayern) sowie Gianfranco Zola, allesamt Italiener, die sehr beliebt waren in London.
Gianluca Vialli, wurde als erster Spielertrainer gar Europapokalsieger (der Pokalsieger) mit dem FC Chelsea und ist auch heute noch, als TV-Experte, eine Legende in England und Italien. Vialli kennt den italienischen und englischen Fußball sehr gut, analysiert Spiele und die Systeme der Trainer, und ist sich sicher, dass „Conte als harter Arbeiter weiterhin viel Erfolg haben wird“, da er Spieler sehr gut überzeugen und „mitnehmen“ könne. Auch als Spieler, so Gianluca Vialli, profitierten andere, so auch er (Vialli) im Sturm, da Antonio Conte ein flexibler „Arbeiter gewesen ist“. Conte habe immer alles für das Team gegeben, und gleichzeitig habe er immer schon wie ein Trainer „gedacht“, bezeugt Vialli. Conte verlange von seinen Spieler auch viel, aber er überzeugt sie, und der Erfolg gäbe ihm auch Recht. Die Spieler glauben ihm.
(Gianluca Vialli kennt seinen früheren Kollegen Conte sehr gut; Vialli ist heute Experte im ital.+engl. Fernsehen)
Antonio Conte ordnet für den Erfolg vieles unter – diese Einstellung verlangt Conte auch von seinen Spielern, denn alle Profis seien privilegiert, sie verdienen schließlich Geld mit der „schönsten Sache der Welt“, mit ihrem Hobby.
Unruhe unterbindet Conte sofort, wie er auch im Gespräch mit Henry zugibt. Conte parliert ein ganz passables Englisch, zwar mit starkem italienischen Akzent, aber sehr gut verständlich. „Sometimes I have to kill a player…“, Thierry Henry, der Interviewer lacht und schüttelt sich, „to kill?“ fragt er. „Yes“, so Conte überzeugt, und er meinte wohl „aussortieren“, denn wenn ein Spieler Unruhe ins Team bringe, gewisse Formen und Normen des Verhaltens vermissen ließe, dann müsse so ein Spieler eben weg! Es gehe nicht, dass der Trainer „die Hoheit über die Kabine“ verlieren würde. Eine klare Ansage. Conte ist über alles im Bilde. Soll auch heißen, „Ich verlange Respekt untereinander im Umgang miteinander, mit den Bediensteten und Angestellten im Club.“ Aber, so führt Conte nach einer kleinen Kunstpause weiter aus: „Ich bringe ebenso allen Respekt entgegen, und bringe meinen Teil für den Erfolg ein…“.
Ein anderer großer Spieler, derzeit in den USA, Andrea Pirlo, der quasi mit AC Milan und Juventus alles gewann, spielte mit Conte zusammen, und wurde von ihm dann auch noch trainiert. So liest sich Contes Charaktierisierung von Pirlo in der eigenen Biografie (Pirlos Biografie ebenfalls hier im Blog):
Antonio Conte kam, sah und siegte, und Pirlo gewann auf Anhieb zwei Meisterschaften mit ihm. Conte überzeugte alle, zudem hatte Conte die Juve-DNA in sich. Conte, so erinnert sich Pirlo, sprach Klartext:
„Diese Mannschaft ist in der Meisterschaft zweimal nur auf Rang sieben gelandet“, das sei schlichtweg Irrsinn. „Grauenhaft“, dafür sei er, Conte, nicht da. „Jetzt ist Schluss mit den jämmerlichen Vorstellungen“ trichterte der Coach dem Team ein.
Es sei schlichtweg „Sünde“ mit Juve nicht unter den ersten drei in der Meisterschaft zu kommen.
Der Coach packte die Stars auch mit seinem Training, unter der Woche wurde fast ausschließlich „trocken“ geübt, ohne Gegner. Nur ein paar Passübungen und Positionswechsel mit und ohne Ball wurden einstudiert, bis sie saßen. Alle gehorchten und der Erfolg stellte sich sofort ein. Juve als Übermacht in der Serie A. So viel also von Andrea Pirlo, und Pirlo ist kein Mann großer oder vieler Worte, eher ein stoischer Genosse seiner Zunft.
Zurück nach England:
So richtig hatte Conte zu Beginn der Saison kaum einer auf der Rechnung. Pep Guardiola und sein Manchester City oder Mourinhos Manchester United starteten mit einem weit teureren Kader in die Saison. Erst für die kommende Saison will Conte nach adäquaten Verstärkungen bitten, denn in der Champions League werde einem nichts geschenkt. Der englische Fußball, was zeichne diesen gegenüber dem Italienischen Fußball aus, wollte Lineker wissen. Antonio Conte: „Im italienischen Fußball bringt man ein 2:0 oder 2:1 oft sicher nach Hause“, es brenne eben nicht mehr viel an, die Taktik gehe wie das Ergebnis über alles. „In England, speziell in der Premiership muss man in jeder Situation hoch konzentriert bleiben, auch bei einem Einwurf, und ein 2, oder gar 3:0, ach was, das Spiel kann immer kippen…“, die Gegner geben sich selten geschlagen, so Conte überzeugt. Deshalb auch seine Anspannung, seine Emotionen. Die teile er wie ein Fan eben.
Ein Sturm gewinnt dir die spiele, ist Conte zwar überzeugt, aber die Abwehr, die sei das Herzstück, und gewinne dir die Meisterschaften. In der Abwehr, so ist Conte sicher, werden viele Opfer fürs gesamte Team gebracht. Momentan so scheint es, genauso wie bei Juventus, oder danach mit der Squadra Azzurra, hat es Conte geschafft, beim FC Chelsea eine gesunde Balance zwischen Abwehr und Angriff gefunden zu haben. Dazu sind seine Teams nur schwer auszurechnen.
Am Ende dieses Artikels erreichte uns die Nachricht, dass Contes Team bei Stoke City mit 2:1 gewann – der Siegtreffer fiel in der 87. Minute durch Gary Cahill, Willian hatte zuvor getroffen. Da waren es bereits 13 Punkte auf Tottenham. Diesmal ließ der italienische „Mister“ ein variables 4:4:2-System spielen. Conte selbst, aber vor allem dessen Teams, sind stets schwer zu analysieren. Die Variationen seiner einstudierten Systeme wechseln auf kurze Kommandos: Ob ein 3-5-2 oder 4-3-3, je nach Spielstand in einem Match, geht das Team in ein 3-3-4, und wenn es erforderlich wird, kurzfristig in ein 5-3-2 über. Die Blues haben anscheinend den Blues raus, traurig werden stets die Gegner. Conte möchte die Champions League, und das Abenteuer in London weiter gestalten. Nichts, auch gar nichts, zieht ihn bereits nach einer Saison wieder weg, selbst wenn derzeit auf dem Trainer-Transfermarkt sein Name ganz weit oben gehandelt wird – ob bei Inter Mailand, der AS Roma, dem FC Barcelona, ja selbst Arsenal London sucht bereits einen Nachfolger für Arsené Wenger. Antonio Conte ist bodenständig, hat (seinen) Stil, und ist bei Chelsea noch nicht am Ende einer womöglich sehr erfolgreich beginnenden Ära. Er kennt seinen Wert, er weiß sich richtig einzuschätzen – und Roman Abramovich wird bestimmt nicht knausrig sein, wenn ihm Conte den Gewinn des Henkelpotts in Aussicht stellt – was aber noch viel mehr zählt, Conte leistet volle PR-Arbeit – Der Mister und sein FC Chelsea gewinnen derzeit weltweit an Sympathien. Und die sind eigentlich unbezahlbar…