Beim FC Liverpool jedenfalls hatten sie für ihn, ehemals „Super-Mario“ genannt, keine Verwendung mehr. Der deutsche Coach höchstpersönlich will es Mario Balotelli mitgeteilt haben, dass er für ihn keinen Bedarf mehr habe. Einer wie Mario, so Jürgen Klopp, müsse Einsatzzeiten haben – und die könne ihm der FC Liverpool nicht garantieren. Jetzt kam aber hinzu, dass es selbst in Italien schwer für Balotelli wurde: Einmal wäre da sein schwieriger Charakter, seine Unberechenbarkeit, und das hohe Jahresgehalt. Manche Clubs sagen aber auch, Balotelli und dessen Berater Mino Raiola (über ihn hier im Blog schon oft berichtet) seien einfach zu „anstrengend“, lange halte dies kein Umfeld aus. Nun also OGC Nizza! Und selbst da meldete der neue Trainer, und ehemalige Mönchengladbach-Coach, Lucien Favre Bedenken an – jedenfalls hatte der Fußballlehrer nicht nach Balotelli gefragt. In Nizza ist dennoch die Euphorie ausgebrochen – das Umfeld will nach Platz Vier endlich nach oben.
Ablenkung tut Not. Normalität, so weit es überhaupt geht, muss nach dem schrecklichen LKW-Attentat auf Nizzas Promenade wieder her. Der Fußball sorgt bekanntlich immer für Gesprächsstoff. Und beim OGC Nizza spricht man derzeit viel über Fußball. Nizza mit Lucien Favre hat tief in die Tasche gegriffen, und das Team für die Ligue 1 „aufgerüstet“. Ibrahimovic, ebenfalls ein Spieler Raiolas, ist nicht mehr da, Ibra verließ Paris Saint Germain (PSG) nach England – dafür platzierte Spielerberater Mino Raiola Mario Balotelli in Frankreichs erster Liga. Immerhin war Superstar Balotelli ablösefrei. Ein kluger Schachzug, eine mögliche Abslösesumme ist nun dessen Gehalt. Experten schätzen, dass Mario Balotelli in Nizza zwar gehaltliche Einbußen hinnehmen musste, er aber dennoch auf 6 Mio € pro Jahr kommen würde. Für den 26jährigen, so scheint es, die letzte Chance, bei Null wieder zu beginnen – und endlich zu zeigen, dass er das Fußballspielen nicht verlernt hat. Mario, so sagen viele, muss nun endlich erwachsen werden, Verantwortung übernehmen. Weder eine Rückkehr zum AC Milan gelang in der Sommerpause, und „kleinere Clubs“ wie Bologna, Palermo oder Chievo Verona schienen ihm und Raiola nicht gut genug. Selbst beim schweizerischen Club, FC Sion (neuer Coach, Peter Zeidler, https://telebasel.ch/2016/08/28/sion-gewinnt-beim-debuet-von-peter-zeidler/), war „Balo“ im Gespräch. Der finanzielle Rahmen passte jedoch nie. Letztendlich bestimmt Raiola.
Neben Balotelli düften in Nizza Dante (vom VfL Wolfsburg gekommen) sowie Anastasios Donis (bei Juventus groß geworden, kurz nach Lugano verliehen, erst 19 Jahre alt) und Younès Belhanda, die bekanntesten Neuzugänge sein. Nizza startete gut mit zwei knappen Siegen und einem Unentschieden in die Liga. Trainer Lucien Favre will nicht nur im heimischen Stadion, der multifunktionalen Allianz-Riviera-Arena, attraktiven Fußball spielen lassen. Wer Favre aus Deutschland kennt, aus der Zeit bei Hertha wie bei Borussia M’gladbach, weiß genau, dass Favre zwar die nötige Lockerheit besitzt, sofern die Spieler seiner Vorgabe folgen, auf dem Platz wie außerhalb. Disziplin ist dem schweizerischem Trainer sehr wichtig. Störgeräusche außerhalb mag Favre gar nicht. Dass Balotelli nun doch kam, muss dem Präsidenten Jean-Pierré Rivère zuzuschreiben sein, der den Deal mit Raiola festzurrte.
Ein Präsident hat auch immer „andere wichtige Faktoren“ im Hinterkopf, und ein Raiola, wird Nizza schon die Vorzüge von Balotelli genannt haben. Nicht nur, dass Mino Raiola im Fernsehen ganz klar sagte, er rechne „in Nizza pro Saison mit 20 Treffern von Mario“, sondern, er zeigte dem Präsidenten Marketing-Effekte auf. Der Club an der Côte d’Azur, OGC, ist doch bereits jetzt weltweit in aller Munde – diesmal aus weniger traurigem Anlass.
(Foto: Favre und Deriu, 2015 in München)
Aber Ruhe sieht anders aus, denn die Transferphase, und die Zeit bis zum ersten Match von Mario Balotelli, nutzen eben Mino Raiola, ein extrovertierter Berater und stets wortgewandt, und sein Schützling, um mit dem FC Liverpool abzurechnen. Mino Raiola spricht frank und frei in die Blöcke und Mikrofone von „Sport-Mediaset“, Diplomatie ist seine Sache nicht, unter anderem an die Adresse des FC Liverpool und Jürgen Klopp: „Die Sache war unschön. Jürgen Klopp hat Balotelli nicht fair behandelt, das haben mir selbst Funktionäre der Reds gesagt.“ Und weiter meinte Raiola auch zur Gazzetta dello Sport, „Klopp hat wohl vergessen, dass Mario eine Person ist. Keine Sache. Sein Verhalten gegenüber Mario war einfach inkorrekt, ja das ist noch wenig, sein Verhalten war eher ein Stück Sch…“ (aus dem Italienischen: …Raiola alla Gazzetta dello Sport – anche i dirigenti Reds hanno ammesso che non si è comportato bene. Dire che è stato scorretto è dir poco: è stato un pezzo di m…“)
Und warum letztendlich Nizza? Und Mino Raiola zeigt aber auch, dass er bei aller Direktheit auch stets das Gute und den Vorteil sieht, nicht unbedingt das Geld, Raiola gab zu Protokoll: „Warum Nizza? Weil in Frankreich ein physisch starker Fußball gespielt wird, und die Spiele sehr offen sind. In Italien enden die Spiele immer 1:0, oder 1:1, mal 2:1. Ich denke, Mario kann immer nach Italien zurück. Er genießt dort immer eine Aufmerksamkeit auf dem Spielermarkt…“, nur leider würden andere Dinge, private, immer überbewertet, meinte Raiola.
Einen Balotelli zu verpflichten, sei immer auch ein Risiko für den Club. Dazu abermals Raiola ganz offen, er kennt Mario schließlich: „Mario ist ein besonderer Spieler, das ist klar! Ob er ein Risiko ist? Nun, die vergangenen zwei Jahre hielt er viel Spannung aus, er reagierte weniger. Man kann auf ihn wetten, wie es ausgehen könnte. Läuft es super, und Mario fühlt sich wohl, ist die Meisterschaft drin. Läuft es eher so lálá, dann kommt der Club immer noch unter die ersten Fünf. Läuft es schlecht, dann amen. Aber ich erwarte von Mario 20 Tore. Und wenn er so gut drauf ist, wie jetzt, werden es sicher 20.“
Mino Raiola, der zum vielfachen Millionär wurde, (Pogba, Ibrahimovic, Donnarumma, Lukaku, Matuidi oder Henryk Mkhitaryan, ja früher auch u. a. Bergkamp und Van Bommel, sowie Pavel Nedved), sieht in Mario Balotelli aber auch seinen wichtigen Part, den Stürmer nochmals zu pushen. Balotelli, so sagen viele Experten, stand sich bisher selbst im Wege, und habe noch nicht „Alles gezeigt“, was er wirklich könne. Wenn sein Talent aber aufblitzte, entschied er immer Spiele (so wie gegen Deutschland im Halbfinale 2012, oder bei ManCity). Mino Raiola, hat sein Hauptquartier, ein Anwesen mit Villa, zig Büros und Plasmabildschirmen, in Monte Carlo, und damit sind seine Wege zu Mario nach Nizza sehr kurz.
Mino Raiola weiß besonders bei Balotelli um seine Verantwortung. Mino will selbst den Sozialpädagogen oder Erziehungsbeistand geben. Denn, Mario, hatte wie einst Zlatan Ibrahimovic keine leichte Kindheit. Zlatan, manchmal noch mit lockerer Zunge unterwegs, imponiert aber auch den größten Kritikern, und glänzt mit Leistung – egal wo. Mario, in Italien geboren worden, seine Eltern waren Immigranten aus Ghana, wurde später der Familie Balotelli anvertraut. Sie war quasi seine (gefühlte wenn auch nicht wirkliche) Familie – Mario wurde jedoch nicht adoptiert. Jedenfalls hat Mario auch seelisch oder psychisch viel aufzuarbeiten, das ist klar, und dazu gehören nicht nur rassistische Diskriminierungen, denen er sich immer wieder ausgesetzt sieht. Mario bleibt vom Verhalten her eine „tickende Bombe“. Es wird darum gehen, welche Wendung sein Image nun beim OGC Nizza nimmt. Es wäre ihm zu wünschen, wenn sein Image wieder mehr vom Fußballerischen beherrscht würde, und weniger von seiner „Disziplinlosigkeit“.
Favre und Raiola wissen um das Risiko. So oder so.